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Während die Mhd. Grammatik von Hermann Paul seit der 20. Auflage (1969) und die Frühneuhochdeutsche Grammatik (1993) - beide in der Reihe "Sammlung kurzer Grammatiken germanischer Dialekte" publiziert - einen Syntaxteil enthalten, erschien in Ergänzung zur "Althochdeutschen Grammatik I" erstmals 2004 ein Teil II "Syntax" von Richard Schrodt, der stark theoretisch geprägt und weniger an einer strukturierten Dokumentation des Materials interessiert war. Die nun vorliegende Neufassung ist im Einklang mit der Zielrichtung der Reihe dagegen stärker materialbezogen. Die Grundstrukturen des Althochdeutschen werden materialbasiert dargestellt. - Die Darstellung beginnt bei den Kasusfunktionen, dokumentiert die elementaren Satzbaupläne auf der Grundlage der Valenzgrammatik. Es folgt eine strukturierte Darstellung des Aufbaus der Nominal- und Verbalphrase, der Satzarten, der Satzfelder (Satzklammer), der Para- und Hypotaxe, der verschiedenen Nebensatzarten und der Negation. Die syntaktischen Strukturen werden, soweit möglich, aus allen Quellengattungen des gesamten althochdeutschen Zeitraums (8. bis 11. Jahrhundert) unter Einschluss des Glossenmaterials belegt. Band I und Band II der Althochdeutschen Grammatik sind auch als Set erhältlich.
Die dynamische Erforschung des Althochdeutschen findet ihren Niederschlag in kontinuierlicher Weiterentwicklung der Althochdeutschen Grammatik. So wird parallel zur grundlegenden Neufassung von Band II: Syntax auch Band I in einer sorgfältig überarbeiteten, in zahlreichen Details erweiterten 17. Auflage vorgelegt. Nach der positiven Resonanz auf die vorherige Auflage konnte der eingeschlagene Weg weiterverfolgt werden. Die Einarbeitung der Glossenforschung ist fortgeführt und ausgebaut worden. Ihrem Aussagewert gemäß kommen nun die voralthochdeutschen Runenbelege stärker zur Geltung. Um der zweifachen Aufgabe als Referenzwerk und als Studienbuch gerecht zu werden, stehen sowohl die Darstellung der Faktenbasis als auch deren Präsentation im Fokus der Neuauflage. Zahlreiche Phänomene werden auf breiterer Datenbasis beschrieben, zum Teil auch sprachhistorisch neu bewertet. Als wesentliche Neuerung, die vor allem didaktischen Zwecken entgegenkommen dürfte, werden den althochdeutschen Paradigmen nun ihre altsächsischen und mittelhochdeutschen Entsprechungen zur Seite gestellt. Dafür haben die Tabellen, deren Zahl zugelegt hat, ein großzügigeres Layout erhalten. Die Maßnahmen zielen darauf ab, den Nutzen als Referenzgrammatik wie als Lehrbuch weiter zu steigern. Band I und Band II der Althochdeutschen Grammatik sind auch als Set erhältlich.
Mein Name ist Tubutsch, Karl Tubutsch. Ich erwähne das nur deswegen, weil ich außer meinem Namen nur wenige Dinge besitze . . .Es ist nicht die Melancholie und Bitterkeit des Herbstes, nicht die Vollendung einer größeren Arbeit, nicht die Benommenheit des aus langer, schwerer Krankheit dumpf Erwachenden, ich verstehe überhaupt nicht, wie ich in diesen Zustand versunken bin. Um mich, in mir herrscht die Leere, die Öde, ich bin ausgehöhlt und weiß nicht wovon. Wer oder was dies Grauenvolle heraufgerufen hat: der große anonyme Zauberer, der Reflex eines Spiegels, das Fallen der Feder eines Vogels, das Lachen eines Kindes, der Tod zweier Fliegen: danach zu forschen, ja auch nur forschen zu wollen, ist vergeblich, töricht wie alles Fahnden nach einer Ursache auf dieser Welt.Ich sehe nur die Wirkung und Folge. Daß meine Seele das Gleichgewicht verloren hat, etwas in ihr geknickt, gebrochen ist, ein Versiegen der inneren Quellen ist zu konstatieren. Den Grund davon, den Grund meines Falles vermag ich nicht einmal zu ahnen, das Schlimmste: ich sehe nichts, wodurch in meiner trostlosen Lage eine wenn auch noch so geringe Änderung eintreten könnte. Weil eben die Leere in mir eine vollständige, sozusagen planmäßige ist bei dem beklagenswerten Fehlen irgendwelcher chaotischer Elemente. Die Tage gleiten dahin, die Wochen, die Monate. Nein, nein! nur die Tage. Ich glaube nicht, daß es Wochen, Monate und Jahre gibt, es sind immer wieder nur Tage, Tage, die ineinanderstürzen, die ich nicht durch irgendein Erlebnis zu halten vermag.
Vor einem großen Walde wohnte ein armer Holzhacker mit seiner Frau und seinen zwei Kindern; das Bübchen hieß Hänsel und das Mädchen Grethel. Er hatte wenig zu beißen und zu brechen, und einmal, als große Theuerung ins Land kam, konnte er auch das täglich Brot nicht mehr schaffen. Wie er sich nun Abends im Bett Gedanken machte und sich vor Sorgen herum wälzte, seufzte er und sprach zu seiner Frau 'was soll aus uns werden? wie können wir unsere armen Kinder ernähren, da wir für uns selbst nichts mehr haben?' 'Weißt du was, Mann,' antwortete die Frau, 'wir wollen Morgen in aller Frühe die Kinder hinaus in den Wald führen, wo er am dicksten ist: da machen wir ihnen ein Feuer an und geben jedem noch ein Stückchen Brot, dann gehen wir an unsere Arbeit und lassen sie allein. Sie finden den Weg nicht wieder nach Haus und wir sind sie los.' 'Nein, Frau,' sagte der Mann, 'das thue ich nicht; wie sollt ichs übers Herz bringen meine Kinder im Walde allein zu lassen, die wilden Thiere würden bald kommen und sie zerreißen.' 'O du Narr,' sagte sie, 'dann müssen wir alle viere Hungers sterben, du kannst nur die Bretter für die Särge hobelen,' und ließ ihm keine Ruhe bis er einwilligte. 'Aber die armen Kinder dauern mich doch' sagte der Mann.Die zwei Kinder hatten vor Hunger auch nicht einschlafen können und hatten gehört was die Stiefmutter zum Vater gesagt hatte. Grethel weinte bittere Thränen und sprach zu Hansel 'nun ists um uns geschehen.' 'Still, Grethel,' sprach Hänsel, 'gräme dich nicht, ich will uns schon helfen.' Und als die Alten eingeschlafen waren, stand er auf, zog sein Röcklein an, machte die Unterthüre auf und schlich sich hinaus. Da schien der Mond ganz helle, und die weißen Kieselsteine, die vor dem Haus lagen, glänzten wie lauter Batzen. Hänsel bückte sich und steckte so viel in sein Rocktäschlein, als nur hinein wollten. Dann gieng er wieder zurück, sprach zu Grethel 'sei getrost, liebes Schwesterchen und schlaf nur ruhig ein, Gott wird uns nicht verlassen,' und legte sich wieder in sein Bett.
Einem Sylter in Wenningstedt wird seine einzige Tochter von einem dänischen Seeoffizier verführt (das Schiff ist hier stationiert). Haß des Sylters gegen das Militär und alles Gesetzliche. Er strandraubt. Der König setzt einen energischen Landvogt ein. Dieser hat eine halberwachsene Tochter. Die Verführte war im Wochenbett gestorben; der hinterlassene Sohn (Lars) wird vom Großvater im Haß gegen das Militär und das Gesetz erzogen und ist verrufen auf der Insel. Er ist schön und stark, gleich des Landvogts Tochter. Da ¿ zur Jahrmarktszeit ¿ tritt er ihr, die von anderen Knaben und Mädchen umringt ist, entgegen. Jene warnen sie vor dem gefürchteten Jungen, und sie sagt ihnen, sie sollten ihn wegjagen. Sie versuchen es; er wirft sie. Da werden die Augen des Mädchens zornig. »Zurück, laßt mich! Nein, allein!« ruft sie. Und das schöne kräftige Mädchen stürmt gegen ihn. Er starrt sie an, und wie sie mit ihren kleinen festen Händen ihn packt, kommt es wie Lähmung über ihn; sie wirft ihn zu Boden und setzt ihren Fuß auf seinen Nacken. Er geht schweigend fort.
In einem alten Fichtenwalde wohnte einmal vor vielen, vielen Jahren ein armer Köhler mit seiner Frau, die ihm erst vor kurzem ein gesundes Knäblein geschenkt hatte, das in der Taufe den Namen Hans empfing. Dieser entwickelte bald nach seiner Geburt eine solche Körperstärke, daß er drei kleine Hündchen, die die Eltern ihm als Spielkameraden beigegeben hatten, der Reihe nach mit seinen Händchen zu Tode drückte. Darüber schalten sie nun wohl den Knaben; in ihrem Herzen aber freuten sie sich über die so wunderbaren Anlagen ihres Söhnleins und gedachten noch einmal etwas Großes aus ihm zu ziehen. Doch nicht lange sollten sie solcher Freude genießen, wie ich dir sogleich erzählen werde. Es hauste nämlich in diesem selbigen Walde ein ungeheurer Bär; dem hatten die Jäger seine beiden Jungen genommen, worüber er sehr betrübt war und Tag und Nacht vor Schmerz im Walde umherheulte. So kam er auch einst vor das Haus des Köhlers, wo der kleine Hans an der Erde saß und spielte.
Weiser Meister! ich war gestern in den Katakomben der Könige von Schweden. Tags zuvor hatte ich die Geschichte Gustav Adolfs gelesen, und ich nahte mich seinem Sarge mit einem äußerst sonderbaren und schmerzlichen Gefühl; sein Leben und seine Taten gingen vor meinem Geiste vorüber, ich sah zugleich sein Leben und seinen Tod, seine große Tätigkeit und seine tiefe Ruhe, in der er schon dem zweiten Jahrhundert entgegen schlummert. Ich rief mir die dunkle grausenvolle Zeit zurück, in welcher er gelebt hat, und mein Gemüt glich einer Gruft, aus welcher die Schatten der Vergangenheit bleich und schwankend heraufsteigen. Ich weinte um seinen Tod mit heißen Tränen, als sei er heute erst gefallen. Dahin! Verloren! Vergangen! sagte ich mir selbst, sind das alle Früchte eines großen Lebens? Diese Gedanken, diese Gefühle überwältigten mich, ich mußte die Gruft verlassen, ich suchte Zerstreuung, ich suchte andere Schmerzen, aber der unterirdische trübe Geist verfolgt mich allenthalben, ich kann diese Wehmut nicht los werden, sie legt sich wie ein Trauerflor über meine Gegenwart; dies Zeitalter deucht mir schal und leer, ein sehnsuchtsvoller Schmerz zieht mich gewaltig in die Vergangenheit. Dahin! Vergangen! ruft mein Geist. O möchte ich mit vergangen sein! und diese schlechte Zeit nicht gesehen haben, in der die Vorwelt vergeht, an der ihre Größe verloren ist.
Wir hatten in Swinemünde verschiedene Spielplätze. Der uns liebste war aber wohl der am Bollwerk, und zwar gerade da, wo die von unserem Hause abzweigende Seitenstraße einmündete. Die ganze Stelle war sehr malerisch, besonders auch im Winter, wo hier die festgelegten, ihrer Obermasten entkleideten Schiffe lagen, oft drei hintereinander, also bis ziemlich weit in den Strom hinein. Uns hier am Bollwerk herumzutummeln und auf den ausgespannten Tauen, so weit sie dicht über dem Erdboden hinliefen, unsere Seiltänzerkünste zu üben, war uns gestattet, und nur eines stand unter Verbot: Wir durften nicht auf die Schiffe gehen und am wenigsten die Strickleiter hinauf bis in den Mastkorb klettern. Ein sehr vernünftiges Verbot. Aber je vernünftiger es war, desto größer war unser Verlangen, es zu übertreten, und bei »Räuber und Wandersmann«, das wir alle sehr liebten, verstand sich diese Übertretung beinahe von selbst. Entdeckung lag überdies außerhalb der Wahrscheinlichkeit; die Eltern waren entweder bei ihrer »Partie« oder zu Tisch eingeladen. »Also nur vorwärts. Und petzt einer, so kommt er noch schlimmer weg als wir.«
In seinem Sessel, behaglich dumm, Sitzt schweigend das deutsche Publikum. Braust der Sturm herüber, hinüber, Wölkt sich der Himmel düster und trüber, Zwischen die Blitze schlängelnd hin, Das rührt es nicht in seinem Sinn.Doch wenn sich die Sonne hervorbeweget, Die Lüfte säuseln, der Sturm sich leget, Dann hebt¿s sich und macht ein Geschrei, Und schreibt ein Buch: "der Lärm ist vorbei."
Den 22. Juli 1848, vor 6 Uhr morgens, verließ ein Streifkommando, die zweite Eskadron von Wallmodenkürassieren, Rittmeister Baron Rofrano mit einhundertsieben Reitern, das Kasino San Alessandro und ritt gegen Mailand. Über der freien, glänzenden Landschaft lag eine unbeschreibliche Stille; von den Gipfeln der fernen Berge stiegen Morgenwolken wie stille Rauchwolken gegen den leuchtenden Himmel; der Mais stand regungslos, und zwischen Baumgruppen, die aussahen wie gewaschen, glänzten Landhäuser und Kirchen her. Kaum hatte das Streifkommando die äußerste Vorpostenlinie der eigenen Armee etwa um eine Meile hinter sich gelassen, als zwischen den Maisfeldern Waffen aufblitzten und die Avantgarde feindliche Fußtruppen meldete. Die Schwadron formierte sich neben der Landstraße zur Attacke, wurde von eigentümlich lauten, fast miauenden Kugeln überschwirrt, attackierte querfeldein und trieb einen Trupp ungleichmäßig bewaffneter Menschen wie die Wachteln vor sich her. Es waren Leute der Legion Manaras, mit sonderbaren Kopfbedeckungen.
Laß, Sylvia, die reine Gluth, So mir entzündet Geist und Blut, Dich, Liebste, nicht zum Zorn bewegen. Wer kann vor deinen Augen stehn Und unentbrannt von dannen gehn, Wenn sich des Geistes Trieb will regen?Nicht falle doch der Meinung bei, Daß reine Liebe Sünde sei, Die Gott in unser Herz geschrieben, Die selbst sein Mund im Paradies In uns mit unserm Athem blies, Der uns geboten hat, zu lieben.Soll meine Liebe Sünde sein, So wisse, daß dein schöner Schein Zu dieser Sünde mich getrieben, Und glaube, daß die kluge Welt Für leibliche Geschwister hält Die Schönheit und den Trieb, zu lieben.Drum folg' ich der Natur Gebot; Ich bin kein Stein und auch kein Gott, Ich muß in deinen Flammen brennen. Mir ist gefesselt Geist und Muth; Drum will ich auch des Herzens Gluth Vor Gott und dir nur frei bekennen.Hier ist mein demuthvolles Herz, So sich verband, in Lieb' und Schmerz Mit gleicher Andacht dir zu dienen. Nimm, Sylvia, das Opfer hin, Laß Augentrost in deinem Sinn, Vergißmeinnicht im Herzen grünen!
Ach mein herr, zürnet nicht darumb! Ich kam zu eim seltzamen strauß, Deß must ich gleich gar warten auß: Dort oben bey dem gülden horn Da het ein krämr mit spiel verlorn Sein gelt, drumb thet sein weib in plagen Und wolt den krämerskorb nit tragen, Und gaben also wort umb wort, Biß doch der krämer an dem ort Den korb sie wolt zu tragen nöten. Sie thet sich pfinnen und an-röten Und warff im den korb wider dar, Kamen zu-letzt zu streichen gar, Thetten einander weidlich puffen, Biß ich und ander leut zu-luffen Und rissen sie kaum von einander. Da lueffens darvon beydesander, Liesen korb ligen an der gassen, Den doch der krämer auff müest fassen. Dem kampff hab ich so lang zu-gsehen.
Ein blühend Kind, von Grazien und Scherzen Umhüpft so, Lotte, spielt um dich die Welt, Doch so, wie sie sich malt in deinem Herzen, In deiner Seele schönen Spiegel fällt, So ist sie doch nicht. Die Eroberungen, Die jeder deiner Blicke siegreich zählt, Die deine sanfte Seele dir erzwungen, Die Statuen, die dein Gefühl beseelt, Die Herzen, die dein eignes dir errungen, Die Wunder, die du selbst getan, Die Reize, die dein Dasein ihm gegeben, Die rechnest du für Schätze diesem Leben, Für Tugenden uns Erdenbürgern an. Dem holden Zauber nie entweihter Jugend, Der Engelgüte mächtgem Talisman, Der Majestät der Unschuld und der Tugend, Den will ich sehn der diesen trotzen kann. Froh taumelst du im süßen Überzählen Der Glücklichen, die du gemacht, der Seelen, Die du gewonnen hast, dahin. Sei glücklich in dem lieblichen Betruge, Nie stürze von des Traumes stolzem Fluge Ein trauriges Erwachen dich herab. Den Blumen gleich, die deine Beete schmücken,
An den kurzen Herbstabenden nämlich, wo uns für die ausgelassenen Spiele nach der Schulzeit gar bald das Licht ausging, pflegten wir uns auf den breiten Steinen einer Haustreppe zusammenzufinden, und nun hieß es: »Stücken vertellen.« Hier war nun Claas Räuber wieder der beste und beliebteste Kamerad, denn sein Reichtum an allen möglichen Arten von Döntjes und Schnurren war unerschöpflich. Je heimlicher aber und verborgner wir unseren Märchensaal aufgeschlagen hatten, desto schöner hörten sich die Geschichten an, desto lebendiger traten all die wunderlichen und süßen Gestalten, die verwünschten Prinzen und Prinzessinnen, Schneewittchen und die Frau Holle vor unsere Phantasie; ja ich erinnere mich, daß wir einmal bei einer solchen Gelegenheit ganz deutlich den Niß Puk aus einer Dachöffnung in meines Vaters Scheune herausgucken sahen und infolgedessen einen zwar vergeblichen Feldzug durch die sämtlichen Böden gegen den Kobold unternahmen.
Vor der Kirche ist schon Groß und Klein versammelt, neugierige Leutchen (der Verfasser darunter), um den Brautzug, der soeben herauskommt, gemächlich anzusehen. Die Musikanten, zwei Fideln samt Brummbaß, eröffnen den Zug; voran die »Buben«, groß und klein, in Feiertagsröcken, einen Rosmarin auf dem Hute, im Gesichte Gesundheit, Mut und Frohsinn; zwischen ihnen und den Männern der Bräutigam, ein frischer, lebensmutiger Bursche, mit einer Haltung und Miene, aus denen der Kampf zwischen frohem Leichtsinn und ernster Sorge sichtbar wird. Dann das liebliche Mädchenvolk, von dem Kinde herauf bis zur mannbaren Jungfrau, alle anständig und sittig in Kleid und Gebärde; hierauf von den Matronen begleitet, die Braut ¿ den Blick zur Erde gesenkt, um das naßgeweinte Auge zu verbergen, das in den feierlichen Augenblicken der Kopulation mit Wehmut aus die verlorne Jugend zurück, und mit Sorge auf das lange, bange Hausmutterleben vorwärts blickte; ¿ eine schöne, jungfräuliche Gestalt, in einem schwarzen Kleide, mit weißer Schürze, den Rosmarinkranz auf dem entblößten Haupte, wie ein zum Tode geweihtes Opfer.
Vor etwa zwanzig Jahren lebte Ein Kaufmann zu Berlin, der, nach des Vaters Rath, Im zehnten Jahre schon nach Geld, statt Weisheit, strebte, Und, als er sechzig war, das nemliche noch that. Genossen hatt' er freilich von dem Leben Sehr wenig, oder nichts; doch lagen auch davor In seinem Pult' zehn tausend Friedrichsd'or. Ein schönes Geld! doch hätt' ich Thor Mein bischen Fröhlichkeit ihm nicht dafür gegeben. Wie schon gesagt: Er war itzt sechzig alt; Nun wollt' er auch das Leben recht genießen. Er gab die Handlung auf; drei Töchter waren bald An Mann gebracht; denn jedem Schwiegersohn' Den sauren Kelch des Ehstands zu versüßen, Beglänzten funfzehn tausend Thaler schon Des Alten Pult; dabei bedung er aus, Was wohl für diesen Preis ein jeder billig fände, Ihn Reih herum zu speisen bis ans Ende. Vorbei ist kaum der letzte Hochzeitsschmaus, So schlägt der Alte fröhlich in die Hände, Dankt Gott, und schleicht sich in sein kleines Haus. Im Anfang' ging das Ding nach Herzens Wunsch! Man füttert ihn mit Leckerbissen, Füllt seinen Becher bald mit Bischof, bald mit Punsch, Und wärmet seines Lehnstuhls Kissen. O! rief er einst, wie glücklich ich nicht bin! Wozu soll ich noch Geld besitzen? Nein! mehr als mir kann's meinen Kindern nützen! Gleich gab er auch den Rest noch hin. Doch, Undank ist der Menschen Lohn.
Da säß ich denn glücklich wieder hinter meinem Pulte, um dir meinen Reisebericht abzustatten. Es ist mir aber auf dieser Reise so viel Wunderliches begegnet, daß ich in der Tat nicht recht weiß, wo ich anfangen soll. Am besten, ich hebe, wie die Rosine aus dem Kuchen, ohne weiteres sogleich das Hauptabenteuer für dich aus.Du weißt, ich lebte seit langer Zeit fast wie ein Einsiedler und habe von der Welt und ihrer Julirevolution leider wenig Notiz genommen. Als ich meinen letzten Ausflug machte, war eben die Deutschheit aufgekommen und stand in ihrer dicksten Blüte. Ich kehrte daher auch diesmal nach Möglichkeit das Deutsche heraus, ja ich hatte mein gescheiteltes Haar, wie Albrecht Dürer, schlicht herabwachsen lassen und mir bei meinem Schneider, nicht ohne gründliche historische Vorstudien, einen gewissen germanischen Reiseschnitt besonders bestellt. Aber da kam ich gut an! Schon auf dem Postwagen dieser fliegenden Universität in den nächsten Kaffeehäusern, Konditoreien und Tabagieen konnte ich mit ebensoviel Erstaunen als Beschämung gewahr werden, wie weit ich in der Kultur zurück war.
Geschöpfe, die den Wert ihres Daseins empfinden, die ins Vergangene froh zurückblicken, das Gegenwärtige genießen, und in der Zukunft Himmel über Himmel in unbegrenzter Aussicht entdecken; Menschen, die sich mit allgemeiner Freundschaft lieben, deren Glück durch das Glück ihrer Nebengeschöpfe vervielfacht wird, die in der Vollkommenheit unaufhörlich wachsen, ¿ o wie selig sind sie![Potsdam, 1798?] [Wieland]
Der Friederich, der Friederich das war ein arger Wüterich! Er fing die Fliegen in dem Haus und riß ihnen die Flügel aus. Er schlug die Stühl und Vögel tot, die Katzen litten große Not. Und höre nur, wie bös er war: Er peitschte seine Gretchen gar! Am Brunnen stand ein großer Hund, trank Wasser dort mit seinem Mund. Da mit der Peitsch herzu sich schlich der bitterböse Friederich; und schlug den Hund, der heulte sehr, und trat und schlug ihn immer mehr. Da biß der Hund ihn in das Bein, recht tief bis in das Blut hinein. Der bitterböse Friederich, der schrie und weinte bitterlich. Jedoch nach Hause lief der Hund und trug die Peitsche in dem Mund.Ins Bett muß Friedrich nun hinein, litt vielen Schmerz an seinem Bein; und der Herr Doktor sitzt dabei und gibt ihm bittre Arzenei.Der Hund an Friedrichs Tischchen saß, wo er den großen Kuchen aß; aß auch die gute Leberwurst und trank den Wein für seinen Durst. Die Peitsche hat er mitgebracht und nimmt sie sorglich sehr in acht.
Mein Freund, der Deichhauptmann, erzählte mir:»Unser Haushahn und der Erpel im Winterkleide sind mir die liebsten Vögel. Dann aber folgt für mich der Austernfischer: In den frischesten Farben des neuen Deutschen Reiches lärmt er, sein »Kaditt, kaditt, kaditt« unzählige Male im Liebestaumel ausstoßend, Tag und Nacht am Strand umher. Daß er so schwer zu schießen ist, macht ihn mir noch begehrenswerter. Selten haben wir auf den Nordseeinseln einen ganz stillen Tag im Frühling. An einem solchen gehe ich nicht ins Bureau, sondern nehme meinen Lefaucheux aus dem Schranke und bin von morgens bis abends unterwegs. Ich komme in den Krug an der Nordermühle, um mir bei der hübschen Sieck, dem Töchterchen der Wirtin Witwe, ein Mittagessen zu bestellen. Wie frisch das Mädel aussieht, wie sie lacht! Wir sprechen friesisch miteinander. Nachdem der Speisezettel, Bohnensuppe und gekochtes Rindfleisch, festgestellt ist, begleitet mich Sieck vor die Haustür. Ich verspreche ihr, einen »Kaditt« für sie mitzubringen.
Der Baum, auf dem die Kinder Der Sterblichen verblühn, Steinalt, nichts desto minder Stets wieder jung und grün. Er kehrt auf einer Seite Die Blätter zu dem Licht, Doch kohlschwarz ist die zweite Und sieht die Sonne nicht.Er setzet neue Ringe, Sooft er blühet, an, Das Alter aller Dinge Zeigt er den Menschen an. In seine grüne Rinden Drückt sich ein Name leicht, Der nicht mehr ist zu finden, Wenn sie verdorrt und bleicht.Dieser alte Baum, der immer sich erneut, Auf dem die Menschen wachsen und verblühen, Und dessen Blätter auf der einen Seite Die Sonne suchen, auf der andern fliehen, In dessen Rinde sich so mancher Name schreibt, Der nur, solang sie grün ist, bleibt, Er ist das Jahr mit seinen Tagen und Nächten.Kennst du das Bild auf zartem Grunde, Es gibt sich selber Licht und Glanz. Ein andres ists zu jeder Stunde, Und immer ist es frisch und ganz. Im engsten Raum ists ausgeführet, Der kleinste Rahmen faßt es ein, Doch alle Größe, die dich rühret, Kennst du durch dieses Bild allein. Und kannst du den Kristall mir nennen, Ihm gleicht an Wert kein Edelstein, Er leuchtet, ohne je zu brennen, Das ganze Weltall saugt er ein. Der Himmel selbst ist abgemalet In seinem wundervollen Ring, Und doch ist, was er von sich strahlet, Noch schöner, als was er empfing.
3] Als Hagedorn sein Haupt hin in die Nacht geneiget, Und in Germanien, durch seinen Tod gebeuget, Des Mitleids Thräne floß, die Thräne, die uns ehrt, Wenn sie die Asche netzt, der sie mit Recht gehört; Kam die Melancholey auf schwarzen Rabenschwingen, Und gab mir den Befehl, des Dichters Tod zu singen. [4] Ich nahm die Leyer hin; die feyerliche Nacht, Die schweigend um mich hieng; hob mich mit stiller Macht. Doch plötzlich lispelte die Mus' in meine Lieder: Verwegner! lege nur die schwache Leyer nieder; Ein Lob auf Hagedorn? ¿ Dies Lob ist dir zu schwer; Wer ihn besingen will, sey erst so groß, wie Er. Die Leyer sang nicht mehr. Allein mit starkem Flügel Trug mich die Phantasie zum frischen Todtenhügel, Den über seiner Gruft die Freundschaft aufgehäuft. Ein Schauder, wie er uns in Grotten oft ergreift, Wo stolze Könige, die Furcht und Lust der Erden, Gleich uns im Staube ruhn, gleich uns vergessen werden; Ein Schauder faßte mich. Voll Ehrfurcht, starr und bleich, [5] Sah ich auf seine Gruft; dem stummen Marmor gleich, Der auf ein werthes Grab voll Schmerz herunter siehet, Doch auch als Stein uns rührt, und Mitleid auf sich ziehet. Mein Geist empfand indeß, daß eine fremde Kraft Mein Aug erheiterte; mit höhrer Eigenschaft Sah mein erstaunter Blick, daß göttliche Gestalten, Mit stillem schwarzen Pomp, zu seinem Grabe wallten. Ein stilles Rauschen gieng durch den Cypressenbaum, An den ich mich gelehnt; ich sah mehr, als im Traum; Die Muse merkte sich die bangen Klagelieder, Und sagt sie nicht so schön, allein getreulich wieder.
Das Bild vergess' ich nie. Es war an den Ufern des herrlichen Gardasees im Städtchen Riva. Ich hatte mich im Hotel al Sole d'Oro eingemietet mit der Absicht, hier mehrere Monate ¿ vom Frühherbst in den Winter hinein ¿ zu verbringen. Als ich bald nach meiner Ankunft den kleinen, von den Wellen des Sees umspülten Hotelgarten aufsuchte, war er fast leer, denn die Gäste hatten schon abgespeist und sich zerstreut. Nur ein Tischchen, in dessen Nähe ich mich niederließ, war noch besetzt. Es saß daran eine zarte blonde Frau mit einem Knaben von etwa sechs Jahren. Beide fesselten sogleich meinen Blick. Erschien ihr noch jugendlich schönes Antlitz wie verklärt von einem stillen Schmerze, und lag in jeder ihrer Bewegungen ein wundersamer Adel, so fiel mir daneben die Unbehilflichkeit des Knaben auf; er drängte sich tölpisch an seine Begleiterin, und sie speiste ihn wie ein kleines Kind. Als ich näher zusah, gewahrte ich, daß er gelähmt sein mußte, und sein lockenumwalltes Gesicht, das ganz hübsch war, wies zwei trübe, seelenlose Augen. Unablässig mit ihm beschäftigt, wandte sie keinen Blick von ihm. Da er jetzt genug gegessen hatte, drückte sie leise sein Haupt an ihre Brust, damit er ruhe. So zärtlich liebevoll konnte nur eine Mutter sein, und die Verwandtschaft zwischen beiden offenbarte schon die große Ähnlichkeit in ihren Zügen. Ich war von dem Anblick mächtig gebannt, wie die Mutter mit gesenktem Auge dasaß, ihr schlummerndes Kind in den Armen, während durch das vom Lufthauch leicht bewegte Blätterdach, das sie überwölbte, manchmal ein blitzendes Licht auf sie fiel. Und dazu diese träumerische Stille und im Hintergrunde des Bildes der in der Mittagsglut leis zitternde Wasserspiegel des Sees! ¿ Nach einer Weile regte sich der Knabe wieder, und sie brach jetzt mit ihm auf. Da sah ich auch, daß er hinkte; sie mußte ihn mühsam mit sich fortschleppen.
Er war ein strammer Junge, der Sepp. Ein großer, hünenhafter Mann, breitschulterig und stark, das Gesicht markig und scharf geschnitten, darin ein mächtiger, hellblonder Schnurrbart, Habichtsnase und zwei dunkelblaue Augen. Im Walde droben hatte er seine Behausung, ein kleines Hüttchen, zwei Klafter breit, zwei lang und anderthalb Klafter vom Boden bis unter den First. Das war seine Sommerwohnung, und er war zufrieden damit. Als Einrichtung und Hausrath war eine alte, rußige Truhe darinnen, die seinen Sonntagsstaat und die Lebensmittel barg, eine selbstgefügte Bettstatt aus rohen Stämmen, zwei Schütten Stroh darauf, und eine Kotze, und in der hintersten Ecke ein offener Herd. Wessen hätte er noch bedurft? Für eine Kohlhütte und einen Köhler war es genug. Des Tages über werkte er beim Meiler. Da gab es immer zu thun. Das Holz wollte kunstgerecht geschichtet sein, das Überdecken des Holzstoßes mit Rasen war nicht minder eine Kunst, die gelernt und geübt sein mußte, und wenn der Meiler einmal dampfte, gab's auch noch zu thun und nachzusehen.
Wollmar und Edwin waren Freunde und wohnten in einer friedlichen Einsiedelei beisammen, in welche sie sich aus dem Geräusch der geschäftigen Welt zurückgezogen hatten, hier in aller philosophischen Muße die merkwürdigen Schicksale ihres Lebens zu entwickeln. Edwin, der glückliche, umfaßte die Welt mit frohherziger Wärme, die der trübere Wollmar in die Trauerfarbe seines Mißgeschicks kleidete. Eine Allee von Linden war der Lieblingsplatz ihrer Betrachtungen. Einst an einem lieblichen Maientag spazierten sie wieder; ich erinnere mich folgenden Gespräches:Edwin. Der Tag ist so schön ¿ die ganze Natur hat sich aufgeheitert, und Sie so nachdenkend, Wollmar?Wollmar. Lassen Sie mich. Sie wissen, es ist meine Art, daß ich ihr ihre Launen verderbe.Edwin. Aber ist es denn möglich, den Becher der Freude so anzuekeln?
Ohannes war zweiter Hamal in dem alten deutschen Bankgeschäfte Mertens & Söhne in Konstantinopel und in dieser Eigenschaft mit der Tätigkeit eines Kassenboten betraut. Er war nicht aus der großen Zunft der Hamal hervorgegangen, aber er zählte Verwandte und Freunde unter ihnen, war in Armenien geboren, frei, allem Anscheine nach, von den Lastern der verweichlichten Abkömmlinge eingewanderter Familien und im Vollbesitze der charakteristischen Kennzeichen seiner bäuerlichen Landsleute: eines ernsten, friedfertigen Wesens, zäher Arbeitstüchtigkeit und Arbeitslust, unübertrefflicher Mäßigkeit im Essen und Trinken und großer Körperkraft. Dabei war er ein schöner, stattlicher Mann, mit der Brust und den Schultern eines Athleten, bleich von Angesicht, mit pechschwarzem Haare, großen, dunklen, traurigen Augen, starken weißen Zähnen und einer mächtigen Nase. Er sprach wenig und immer nur zur Sache und führte die zahlreichen und verschiedenartigen Aufträge, die ihm täglich erteilt wurden, pünktlich, gewissenhaft und verständig aus.
Sie haben vor den Pyramiden Aida aufgeführt. Ich jauchzte, als ich die superbe Auffahrt vor den berühmten Jahrtausenden sah.Und diese Beleuchtungen, diese Fanfaren, diese Musik, die all die liebgewonnenen Theaterschicksale in luxuriös unsterbliche Melodien setzt. Ich war diesen Nachmittag so glücklich. Nichts als ein Kultus, ein ewiger Kniefall für dich, Miß Olivia. Warum hast du mir das getan? Wo ich doch jenes glückliche Lachen hatte, das in mir Tribünen und Automobile, Fellachen und Ladies, Sphynxe und Statistenbäuche, Kamele und Wiener Kaffees tanzen ließ.Warum mußtest du sagen, daß ich jenem braunen, o-beinigen Baritonisten ähnlich sehe! Weißt du denn nicht, wie eitel ich bin? Mußt du mich täglich zerschmettern? Das erstemal, als wir uns in Luzern auf der Reunion im Hotel National sahen und ich dich bebend, wie kein Kaiser vor einem Staatsstreich, zum Twostep aufforderte . . . schweige, Mensch! Unsäglicher Schlemihl. Alles um dich siegt.Nur du bist dumpf und zitterst vor jedem bißchen Leben, das du großartig das äußere nennst, und das dich, wenn du sicher bist, so seltsam gleichgültig läßt. Jeder Kellner unterjocht dich, jede Dirne blamiert dich.Apropos, peinige nur dein Herz. In einem Münchener Weinlokal, hat nicht ein Herr aus Magdeburg, ein Statistiker des jährlichen Niederschlages, ein Wetterprophet, ein Kerl wie Weißbier, die süße Erika, die du wie ein Legendenwesen behandeltest, von deiner Seite gerissen?
Martin Luther (* 10. November 1483 in Eisleben, Grafschaft Mansfeld; ¿ 18. Februar 1546 ebenda) war ein deutscher Augustinermönch und Theologieprofessor, der zum Urheber der Reformation wurde. Er sah in Gottes Gnadenzusage und der Rechtfertigung durch Jesus Christus die alleinige Grundlage des christlichen Glaubens. Auf dieser Basis wollte er damalige Fehlentwicklungen der Römisch-katholischen Kirche beseitigen und sie in ihrer ursprünglichen evangelischen Gestalt wiederherstellen (¿re-formieren¿). Entgegen Luthers Absicht kam es im Lauf der Reformation zu einer Kirchenspaltung, aus der evangelisch-lutherische Kirchen und weitere Konfessionen des Protestantismus entstanden.Die Lutherbibel, Luthers Theologie und Kirchenpolitik trugen zu tiefgreifenden Veränderungen der europäischen Gesellschaft und Kultur in der Frühen Neuzeit bei. Nicht zuletzt hat Luther die Entwicklung der neuhochdeutschen Sprache entscheidend beeinflusst.
Winkelburg war eine sonderbare, alte, verschnörkelte Stadt. Die Hauptstraßen waren schon eng und krumm, allein die Nebengassen noch viel enger und krummer, und dabei liefen sie so sonderbar durcheinander oder waren plötzlich an einem Kanal mit trübfließendem Wasser zu Ende oder gingen in finstere Höfe als Sackgassen aus, daß Winkelburg für Fremde eine rechte Vexierstadt war und es lange dauerte, ehe sich jemand zurechtfand in allen diesen Kniffen und Sonderbarkeiten. Wunderliche, alte, düster Tore gab es dort, in denen es schmetternd hallte, wenn ein Wagen hindurchfuhr, und eine solche Versammlung von merkwürdigen, alten Giebelhäusern bestand wohl nicht zum zweitenmal in der Welt. Einige waren vorübergebeugt, als hätten sie auf der Straße etwas verloren und suchten es nun; einige hatten sich vornehm zurückgelehnt, als ginge sie die Welt nichts an, und andere wieder waren ein wenig seitwärts gegen ihr Nachbarhaus gesunken und schienen froh zu sein, daß sie auf diese Art am Umfallen verhindert wurden. In einigen Gassen waren nun gar die Stockwerke übereinander hinausgebaut, so daß sich die Häuser nach oben immer näher kamen und zuletzt der Himmel nur duch einen kleinen Spalt hineinblickte.
Man hat uns in einer Versammlung vorigen Donnerstag aus Ihren Gedichten vorgelesen, Herr V., es geht mir nach, ich weiß mir keinen anderen Rat, als für Sie hinzuschreiben, was mich beschäftigt, so gut es mir eben möglich ist. Den Tag nach jener Vorlesung geriet ich zufällig in eine christliche Vereinigung, und vielleicht ist das recht eigentlich der Anstoß gewesen, der die Zündung verursacht hat, die solche Bewegung und Treibung auslöst, daß ich mit allen meinen Kräften auf Sie zufahre. Es ist eine ungeheuere Gewaltsamkeit, etwas anzufangen. Ich kann nicht anfangen. Ich springe einfach über das, was Anfang sein müßte, weg. Nichts ist so stark wie das Schweigen. Würden wir nicht schon jeder mitten ins Reden hineingeboren, es wäre nie gebrochen worden.
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