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Am 10. Mai. In der Nacht war unsere Pirogue geladen worden, und wir schifften uns etwas vor Sonnenaufgang ein, um wieder den Rio Negro bis zur Mündung des Cassiquiare hinaufzufahren und den wahren Lauf dieses Flusses, der Orinoco und Amazonenstrom verbindet, zu untersuchen. Der Morgen war schön; aber mit der steigenden Wärme fing auch der Himmel an sich zu bewölken. Die Luft ist in diesen Wäldern so mit Wasser gesättigt, daß, sobald die Verdunstung an der Oberfläche des Bodens auch noch so wenig zunimmt, die Dunstbläschen sichtbar werden. Da der Ostwind fast niemals zu spüren ist, so werden die feuchten Schichten nicht durch trockenere Luft ersetzt. Dieser bedeckte Himmel machte uns mit jedem Tage verdrüßlicher. Bonpland verdarben bei der übermäßigen Feuchtigkeit seine gesammelten Pflanzen und ich besorgte auch im Thal des Cassiquiare das trübe Wetter des Rio Negro anzutreffen. Seit einem halben Jahrhundert zweifelte kein Mensch in diesen Missionen mehr daran, daß hier wirklich zwei große Stromsysteme mit einander in Verbindung stehen; der Hauptzweck unserer Flußfahrt beschränkte sich also darauf, mittelst astronomischer Beobachtungen den Lauf des Cassiquiare aufzunehmen, besonders den Punkt, wo er in den Rio Negro tritt, und den andern, wo der Orinoco sich gabelt. Waren weder Sonne noch Sterne sichtbar, so war dieser Zweck nicht zu erreichen und wir hatten uns vergeblich langen, schweren Mühseligkeiten unterzogen. Unsere Reisegefährten wären gerne auf dem kürzesten Weg über den Pimichin und die kleinen Flüsse heimgekehrt; aber Bonpland beharrte mit mir auf dem Reiseplan, den wir auf der Fahrt durch die großen Katarakten entworfen. Bereits hatten wir von San Fernando de Apure nach San Carlos (über den Apure, Orinoco, Atabapo, Temi, Tuamini und Rio Negro) 180 Meilen zurückgelegt. Gingen wir auf dem Cassiquiare in den Orinoco zurück, so hatten wir von San Carlos bis Angostura wieder 320 Meilen zu machen. Auf diesem Wege hatten wir zehn Tage lang mit der Strömung zu kämpfen, im Uebrigen ging es immer den Orinoco hinab
Eine Meile südlich von Glücksburg, auf einer dicht an die See herantretenden Düne, lag das von der gräflich Holkschen Familie bewohnte Schloß Holkenäs, eine Sehenswürdigkeit für die vereinzelten Fremden, die von Zeit zu Zeit in diese wenigstens damals noch vom Weltverkehr abgelegene Gegend kamen. Es war ein nach italienischen Mustern aufgeführter Bau, mit gerade so viel Anklängen ans griechisch Klassische, daß der Schwager des gräflichen Hauses, der Baron Arne auf Arnewiek, von einem nachgeborenen »Tempel zu Pastum« sprechen durfte. Natürlich alles ironisch. Und doch auch wieder mit einer gewissen Berechtigung. Denn was man von der See her sah, war wirklich ein aus Säulen zusammengestelltes Oblong, hinter dem sich der Unterteil des eigentlichen Baues mit seinen Wohn- und Repräsentationsräumen versteckte, während das anscheinend stark zurücktretende Obergeschoß wenig über mannshoch über die nach allen vier Seiten hin eine Vorhalle bildende Säuleneinfassung hinauswuchs.
Die kleine Auguste war ein gar herziges Mägdlein von sieben oder acht Jahren; sie blühte wie eine Lilie, war rein wie eine Taube und mild wie eine Traube. Deshalb war sie die Freude und Wonne ihrer Eltern, und alle, die sie kannten, liebten sie. »Komm, Kleine,« sagte eines Tags der Papa zu ihr, »setz dein Hütchen auf, binde dein rothes Tuch um und zieh deine Handschuhe an; wir wollen ein wenig ins Freie.« Da klatschte Auguste vor Freuden in ihre Händchen, und im Nu stand sie da, wie aus der Beilade genommen. Nun küssten und drückten sie die Mama und wanderten fort. itschernden Vöglein, den flatternden Schmetterlingen und den hüpfenden Lämmlein, kamen sie auf eine Wiese, auf welcher tausend und abertausend lustige Blumen wuchsen. »Darf ich die pflücken?« fragte Auguste, und der Papa nickte mit dem Kopfe und winkte mit den Augen. Da war die Freude erst recht groß! Während aber die Kleine wie ein Schmetterling von Blume zu Blume eilte, nahm der Papa etwas Weißes aus der Tasche und legte es ins Gras, das er ein wenig zur Seite bog. Und als Auguste ein schmuckes Sträußchen gepflückt hatte, kam sie heran gehüpft und sagte: »Papa, darf ich nun Hasennester suchen?« Da nickte der Papa wieder mit dem Kopfe und winkte wieder mit den Augen; und sie suchte und suchte. »Ei, was ist das!« rief sie plötzlich aus, »was wird darin sein?« Rasch nahm sie das Papier hinweg und jubelte und jauchzte hoch auf.
Wer mit rechtem Ernst suchen will der findet bald, das empfand ich, als ich vor einigen Jahren mit meinem Schwager Wilhelm von Ploennies diese Sammlung anlegte. In unserm Wohnort Darmstadt war natürlich für dieselbe nichts zu gewinnen, darum zogen wir in den Odenwald, um dort in der noch weniger von der sogenannten ¿Aufklärung¿ und dem ¿Fortschritt¿ angesteckten Bevölkerung die frisch duftenden Blüthen zu lesen. Unsere Streifereien lohnten sich über alle Erwartung, eine Sammlung wuchs neben der andern auf und wir sahen uns bald so reich, daß wir an eine Herausgabe denken konnten. Da öffnete sich uns plötzlich eine neue, viel näher liegende und unendlich reiche Quelle; wir erkannten, daß wir von Tausenden von Märchenerzählern umgeben waren, an die wir bisher gar nicht gedacht hatten. Wilhelm, welcher Lieutenant in Großherzoglich Hessischen Diensten ist, ließ die Soldaten Mann für Mann aufmarschiren und sagen und singen was sie wußten, Märchen, Sagen, Legenden, Beschwörungen, Aberglauben, Lieder. Da strömte der Segen so reichlich, daß an ein Ausarbeiten kaum mehr zu denken war, weil wir die Hände zum Einsammeln und vorläufigen Ordnen zu sehr gebrauchten. Mit unserm Reichthum wuchs unsere Freude an den verschiedenen Sammlungen. Wilhelm überließ mir die Soldaten; er zog während ich zu Hause sammelte, allein zu unsern alten Freunden im Odenwalde und seine Bemühungen wurden durch manchen kostbaren Fund gelohnt; so trug er u.a. eines Tages zwei der schönsten Märchen, das ¿von der schönen Schwanenjungfer¿ und ¿die eisernen Stiefel¿ heim.
Ich muß dir etwas erzählen, liebste Frau, was mir gestern begegnet ist, und was ich dir gerne mündlich sagte, wenn du nicht in weiter Ferne am Meeresstrande säßest, du Ausreißerin.Deine braunen Fensterläden sind geschlossen; der alte Nußbaum klopft mit schwanken Zweigen daran und fragt, ob du bald kommest.Und auch ich frage so. Du weißt, warum. Ich darf heute nichts davon sagen, ich habe es dir versprochen. Du sollst Ruhe haben zu allem. Ruhe? Wenn ich dir diese Blätter schicke?Doch ich wollte dir ja etwas erzählen.Ich ging mit meinem Freund Haller, den du den Tolpatsch nennst, gegen die Wilhelmsburg hinauf. Er hatte das kaffeebraune Sommerröckchen an, das du ihm längst wegsprechen wolltest, und ging, die eine Hand in der Tasche, mit der andern lebhaft seine Rede begleitend, neben mir her. Er ist ein Kind und ein Weiser zugleich. Du hättest ihn sehen und hören sollen. Er fand einen aus dem Nest gefallenen jungen Finken und trug ihn im Taschentuch mit sich, solang er mir seine Lieblingsidee, die er von Fichte aufgenommen hat, auseinandersetzte: es gibt nur eine Tugend, sich selber vergessen, und nur eine Sünde, sich selber zu wichtig nehmen. Dabei erdrückte er im Eifer des Gesprächs den Finken und sah, als er es merkte, bestürzt das Vogelleichlein an. Ich wollte es nicht, versicherte er, ich wollte es gewiß nicht tun. Plötzlich sah ich einen in der Sonne schimmernden Faden, der an seiner Schulter aufglänzte, und dessen anderes Ende in der himmlischen Bläue verfestigt zu sein schien. Er mochte sich drehen oder wenden wie er wollte, der Faden ging mit ihm, so zart er war, denn die unsichtbaren Spinnfrauen hatten ihn fest und zäh gesponnen. Und mich ergriff eine heitere Rührung, als ich das große Kind so lieblich an das All gekettet sah. Geh' du nur hin, dachte ich, und stolpere deinen Gang. Es fliegt doch ein zartes Seelchen hinter dir drein und leitet dich an einem Silberfaden.
Die geistige Landschaft, in der jene sich bewegten, die als Knaben von der Revolution gehört hatten und als Jünglinge Napoleon erlebten, war ein blitzdurchrissenes Chaos, wo das erregte, zu äußerster Empfindlichkeit gesteigerte Gemüt dieser Jugend in den Pausen des Dunkels zu deuten versuchte, was es, blitzte es auf, von der infernalisch beleuchteten Trümmerwelt zu sehen bekommen hatte. So ungewöhnliches Geschehen, wie die von Napoleon und seinen Jünglingsgenerälen auf der Spitze des Schwertes durch die Welt getragene Idee der Revolution, selber als Gedanke sich nicht klar, da mit Affekten geladen, mit Blut getüncht, wird von der erschütterten Mitwelt, zumal ihrer Jugend, nichts als gefühlt erlebt und auch mit nichts als Gefühl begegnet werden, und dies in allen Graden der Intensität: spontan berauscht von jenen, die sich die dreifarbige Kokarde anstecken und politisch werden, übertragener von anderen, die, wie der junge Schlegel, das Zeitalter moralischer Ungebundenheit angebrochen wähnen und der Lucinde der Libertinage ein Denkmal setzen, oder die wie Shelley der endlich befreiten Menschheit Hymnen singen und die Fahnen noch weiter tragen wollen. Die Jugend und die Zeitgeschehnisse lassen es nicht zu, daß man ¿ ist man nicht der in der Mittagswende des Lebens stehende Goethe ¿ die Distanz gewinnt, die nötig ist, um zu dem, was sich in überstürzenden Ereignissen vollzieht, das zu haben, was man Gedanken nennt. Aber mit der dem Menschen eigentümlichen Neigung, die Dinge denken zu müssen, nimmt nichts als Gefühltes Form und Gebaren von Gedanken an, von Erkenntnissen und Einsichten. Die erste Generation der Romantiker, die den napoleonischen Akt der Revolution erlebt, verbraucht sich in ungeheuren Anstrengungen zu einer Denkhaltung.
Heut paß ich ihm zum letzten Male auf! Man glaubt schon von den Kindern Last zu haben, Wenn man sie füttert und vor Beulen schützt, Doch das ist alles eitel Zeitvertreib, Die Plage kommt erst, wenn sie älter werden. »Ich bitt dich, Mutter, sag ihm, ich sei krank, Wenn er dich fragt, warum man mich nicht sieht, Und merk auf sein Gesicht, ich stick indes Für ihn die Schärpe fertig, die du kennst, Und geh nicht vor die Tür.« Ja, wenn er fragt! Doch wenn er schweigt? Es sind nun sieben Tage, Und er verlor kein Wort an mich, ihm sitzt Der dumme Falke immer noch im Kopf, Der sich verflogen hat. Nun hat sie mich Behängt mit ihren Kleidern, weil sie glaubt, Daß er sie kennen wird. Ich glaubs zwar nicht, Allein sie bat mit Tränen in den Augen Und schwur mir, daß sie, wenn er noch nicht frage, Sein Roß mit ihrer Schärpe schmücken wolle, So ließ ichs denn geschehn. Da kommt er her.
Im Tauwetter, auf der Felsenkuppe nach der See zu, stand im letzten Sonnenglanz ein vierzehnjähriger Junge, ganz in sich versunken. Er blickte gen Westen übers Meer hinaus, er blickte gen Osten, auf die Stadt, den Strand, die mächtigen Berge, hinter denen noch höhere Felsengipfel emporragten. Alles in klarer Luft.Der Sturm hatte lange und furchtbarer gewütet, als die ältesten Leute sich entsinnen konnten. Trotz der neuen Mole hatten sich Schiffe im Hafen losgerissen und waren untergegangen. Der Telegraph meldete von Schiffbrüchen die Küste entlang; in der ganzen Umgegend gab es nichts als zerrissene Netze, fortgeschwemmte Fischreusen, verschwundene Bootstege. Und immer noch hatten die Leute Angst, das Schlimmste komme noch erst.Jetzt endlich seit ein paar Stunden war es vorüber; der Sturm hatte sich gelegt, die Windstöße, die ruckweise aufeinander gefolgt waren, hörten auf; kaum noch ein letzter Nachhall war zu spüren.Nur das Meer wollte nicht gehorchen. Die Tiefen aufrühren und dann einfach davonlaufen das geht doch nicht! Wellenzüge, soweit das Auge reichte, höher als haushoch, kamen in endlosen Reihen, mit schaumweißen Kronen und donnerndem Fall. Über Stadt und Strand hin dröhnte ihr Tosen, gewaltig, dumpfrollend, wie Bergrutsche in der Ferne.
An einem warmen Septemberabend saß ein hochgestalteter, stämmiger Mann mit grauem Langhaar vor dem Wohnhause seines Gehöftes in dem anmutig gelegenen Städtchen Wachenheim in der Rheinpfalz und blickte sinnend vor sich hin. Er war in landesüblicher Bauerntracht, aber seine Haltung und ganze Erscheinung hatten etwas Würdevolles, Achtunggebietendes. Seine rechte Hand ruhte auf dem derben Kreuzbeintische vor ihm, und ohne sich dessen bewußt zu sein, trommelte er auf der Platte einen marschmäßigen Takt. Er hatte in den überstandenen, langen Kriegsjahren viel trommeln gehört, und so war ihm dieses Fingerspiel zur Gewohnheit geworden, wenn ihm etwas Besonderes die Gedanken bewegte.Es war der Bürgermeister von Wachenheim Christoph Armbruster, der sich als Winzer eines behäbigen Wohlstandes erfreute und die Bürgermeisterei im Ehrenamt verwaltete. Es schienen auch keineswegs Sorgen zu sein, was ihn zu dieser Stunde beschäftigte, denn sein Gesicht mit der stark hervortretenden Nase und dem kräftigen Kinn zeigte einen zufriedenen Ausdruck, und er schaute, wie sie in der Pfalz sagen, so recht stillbeducht und heimselig drein.
»Mein Gott«, sagte der alte Golderjahn vor sich hin, »das Leben ist wirklich schwer. Daß es schwer ist, das hätte schon nicht so viel zu sagen, das hat man mit allen Menschen gemein. Aber daß es so rasch ist, das gehört jedem ganz persönlich an. Denn da kommt's drauf an, wie man's lebt. Und wenn man's so langsam lebt wie ich, da ist's noch einmal so rasch. Eh man sich verguckt hat, ist ein Jahr herum. Nun ist heut schon wieder Bündelchestag ¿ noch ein paar Stund, und das Jahr ist auch gegangen. Wieder ein neuer Kalender ¿ und ich muß den nächsten schon fürs nächste Jahr fertig haben, damit ich nicht zu spät komm und der Drucker gleich damit anfangen kann. Ach, 's ist ein Geschäft!«
Als die Mönche zum ersten Male am Odhinsstrande landeten, war es das vierunddreißigste Jahr nach Eislands Besiedelung durch die »Landnahmemänner«. Damals stand keine Halle und keine Erdhütte, in der nicht Glums Lied von Hjörleif Zwölfkraft erscholl; denn ein Trollbär war großen Viehraubes willen lange in Acht gelegen, und Hjörleif hatte ihm, waffenlos, im Ringkampf das Rückgrat gebrochen. Als die Weißröcke kamen, da wußte Keiner, wer da den Fuß ans Land setzte. Hätte man es aber gewußt, so hätte man sie mit ihren eigenen Rudern erschlagen. Es hatten wohl alle von dem weißen Gott gehört und davon, daß Harald Hårfagr auch große Jarle gezwungen hatte, sich mit dem Wasser waschen zu lassen. Aber als die Mönche, denen der Sturm die Segel genommen hatte, krank und schwankend aus dem gebrechlichen Schiffe stiegen, da gab man ihnen Speise und Trank nach alten Gastgeboten. Und den Anführer, der auf die Knie fiel und schrie: »Ich danke dir, Herr, daß ich dies Land dir erobern darf!« den achteten sie für einen armen Irren. Die Männer baten, im Lande bleiben zu dürfen und bauten aus Erde und aus dem Holze ihres Schiffes ein Haus. Oben auf den Giebel nagelten sie einen Doppelstab, den viele zuerst für Thorrs Hammerzeichen hielten, doch war es das Kreuz, davor sie knieten. Sie nährten sich kümmerlich von Fischen, die sie fingen, gutes Roßfleisch wiesen sie schaudernd zurück und sagten, es gälte für unrein dort, woher sie kämen.
Durchdringend und dröhnend rief die große Dampfsirene die Passagiere an Bord. Die mächtige, stolze »Manchuria« der P. und O.-Linie hatte die Rückfahrt aus Ostasien beendet und war dabei, am Pier in Southampton anzulegen. Die Fahrgäste brauchten aber nicht erst nach oben gerufen zu werden, sie standen schon alle mit ihrem zahlreichen Kabinengepäck auf den Promenadendecks bereit, begierig, endlich an Land zu gehen. Die Stewards waren eifrig tätig und brachten immer noch mehr Koffer an Bord. Die Pfeife des Bootsmannsmaats schrillte. Malaiische Matrosen mit roten Kopftüchern liefen über das Welldeck, verteilten sich an der Längsseite des Schiffes, die dem Land zugekehrt war, und hielten sich an den großen Halteseilen bereit. Der Maschinentelegraph klingelte, und es ertönten all die bekannten Geräusche, die bei der Landung eines Ozeanriesen dem Anlandrollen der Brücken vorausgehen. Mit viel Geschick hatte der alte, erfahrene Kapitän in kürzester Zeit das Landungsmanöver ausgeführt, und nun rasselten die schweren Anker mit ohrenbetäubendem Lärm ins Wasser. »Haben Sie die kleine, schwere Kiste unter meinem Bett heraufgeschafft?« rief Jim Carley seinem Kabinensteward zu, der eben, mit Koffern beladen, an der Tür des Promenadendecks auftauchte und von allen Seiten bestürmt wurde. Der Mann hatte es nicht gehört. Carley ließ seine Koffer an der Reling stehen und ging auf ihn zu, aber es dauerte einige Zeit, bis dieser alle Gepäckstücke abgeliefert hatte. Jim wiederholte seine Frage. »Bis jetzt bin ich noch nicht dazu gekommen. Die Kiste ist außerdem so entsetzlich schwer, als ob Blei oder Gold darin wäre.« »Gold ist wohl kaum darin«, erwiderte Carley lächelnd. »Aber sorgen Sie vor allem dafür, daß sie nach oben kommt.«
Alle Frauen wachsen und vergehen an der Stelle, der sie entsprossen, gleich Blumen, und würden sie von ihrem Sterne auch durch die halbe Welt geführt. Die Männer aber werden von der Unruhe immer über die ganze Erde gejagt und fänden ihre Füße auch wenig weiter, als der Schatten des Kirchturmes ins Feld reicht. Dieser Strom der Unrast gleicht einem Winde, der ihre Seele fortwährend in Atem hält. Bald ist er bunt, bald heiß, bald trocken, je nach dem Lebensalter. Eusebius Mandel, der Schneider von Oberröhrsdorf, war schon in den rauhen, steifen Wind gekommen. Wenn der die Menschenmänner anweht, so stehen sie mit ihrem Leben schon hinter Mariä Geburt. Die meisten Schwalben sind fort, hie und da auf den Stoppeln nesteln schon Spinnenfäden, und sie müssen einen krummen Rücken machen, um vorwärts zu kommen. So stand es um den Röhrsdorfer Schneider. Der Weg, den er ging, schwirrte schon manchmal vor seinen Blicken wie eine gespannte Schnur, die jemand anreißt, und er mußte seine Augen einkneifen, damit er nicht rechts oder links abkam, irgendwohin, wo er nichts zu suchen hatte. Dies genaue Hinlugen hatte schon allerhand Gekritzel auf seine Schläfe geschrieben, und über den Ohren bauschten sich seine Haare weiß. Manchmal stand er auf der Lehne hinter seinem Hause und betrachtete die Welt: die Bauern, die über das Feld pflügten; die Holzfuhrleute neben ihren hohen Rädern oder den Bäcker, der in seinem Planwägelchen vorbeischnurrte. Und wenn er so eine Weile hinuntergesehen hatte, nahm er sein Taschentuch heraus, breitete es aus, als wolle er etwas hineinpacken, faltete es aber wieder zusammen und schob es in den Rock. Denn man mochte die Gedanken so oder so wenden, Eusebius Mandel konnte es nicht leugnen, die andern kamen leichter und fröhlicher vorwärts als er. Und da er eine wieselflinke Seele besaß, blieb ihm auch nicht verborgen, warum das so war. Sie hatten Kinder. Das ist für Menschen aber nicht anders, als wüchsen zwischen den staubgrauen Steinen ihres Weges süße Schwingel des Grases, und als bräche aus schwerem Herbstgewölk unvermutet und unbegreiflich der Frühling herein, und der steife Wind des Alters hat keinen rechten Fug an solche Männer.
»Wenn ein Mädchen einen reichen Mann bekommt, ist es immer glücklich verheiratet«, hatte der alte Kammerherr von Wahnfried gesagt und dabei die weißbuschigen Augenbrauen noch grimmiger zusammengezogen als sonst. »Gundula kann Gott danken, daß der Bär von Hohen- Esp sie zum Weib begehrt! Ist wohl kein Nest so weich gepolstert wie das seine, und wenn man den Grafen ansieht, lacht selbst solch altem Kerl wie mir das Herz im Leibe, wieviel mehr meiner jungen Tochter.« Die alte Dame, die dem Sprecher gegenübersaß, richtete sich noch straffer empor und legte die großen, kräftigen, schneeweißen und ungeschmückten Hände im Schoß zusammen. Ihre klaren, durchdringend ernsten Augen hefteten sich ruhig auf die hünenhafte Gestalt des Bruders, der, auf seinen Krückstock gestützt, vor ihr stand und sie herausfordernd anblickte. »Jung, schön und reich«, sagte sie langsam, »ja, das ist er, aber er ist noch mehr! Graf Friedrich Carl ist leichtsinnig. Er ist durch und durch Lebemann; die große Welt, in welcher er, der Frühverwaiste, so jung schon selbständig ward, droht sein Verderben zu werden.« »So! Inwiefern, wenn man fragen darf?« »Weil er sich ruiniert, weil er über seine Verhältnisse lebt.« Der Kammerherr lachte hart auf. »Ein Hohen-Esp sich ruinieren! Ein Hohen-Esp über seine Verhältnisse leben! Ahnst du, wie reich der Mann ist?«
Peter Michels Vater war Schuhmacher in einem Dorfe. Er hatte träumerische Augen, die sich nie mit Bewußtsein dauernd auf eine Stelle konzentrieren konnten, und einen Geist, der fortwährend grübelte, ohne an etwas Festem zu haften. Er dachte über die abenteuerlichsten Fragen nach, ohne aber je zu einem Resultate oder zur Annäherung an ein solches zu gelangen. Er hatte eine unbegrenzte Hochachtung für andere; vor allem für seine Frau, welche gar keinen Maßstab an sich legte, sondern sich unbesehen für etwas ganz Bedeutendes hielt. ¿ Beobachtung fehlte Herrn Michel beinahe gänzlich; doch hatte er ein gutes Auge für die Füße anderer: er maß einem jeden sogleich in Gedanken Stiefel an. Einmal ereignete es sich, daß eine fremde, durchreisende Dame ihm ihr Schuhwerk zur Ausbesserung bringen ließ, kleine Stiefelchen aus feinem gelbem Leder. Er, der gewöhnt war, pfundschwere Ware unter den Händen zu haben, fühlte sich einer so zierlichen Aufgabe nicht gewachsen. Da war es aber seine Frau, die ihre ganze Energie einsetzte, der fremden Dame zu zeigen, daß es auch in ihrem Dorfe Leute gäbe, »welche mit der Welt in Verbindung ständen«. Sie fuhr persönlich in das nächste größere Städtchen, kaufte feines Leder, feine Stifte, Glanzwichse, und die Schuhe wurden repariert. Diese Dame machte auf den kleinen Peter einen großen Eindruck. Wenn er später etwas von Prinzessinnen las, dachte er stets sogleich an gelbe Schuhe, eine Ideenverbindung, die sich erst in seinem weiteren Leben verlor.
In der Vorstadt des Städtchens, wo ich meine Jugend verlebt, stand ein gar freundliches Häuschen, das aus seinen vier Fenstern recht hell in die Welt hinausschaute; daneben ein Garten, nicht eben kunstvoll angelegt noch zierlich gepflegt, sondern zum Teil mit Küchengewächsen, zum größeren aber mit lustigem Gras und mit Obstbäumen bestanden. Dicht neben dem Häuschen breitete ein stattlicher Nußbaum seine dunkelgrünen Zweige aus und warf seinen Schatten und zur Herbstzeit seine Früchte gastlich weit in die Straße hinein, ein geschätzter Sammelplatz für die liebe Jugend der ganzen Vorstadt. Minder freundlich und einladend erschien ein Paar kleiner fetter Möpse, die sich abwechselnd oder gemeinsam auf der Gartenmauer sehen ließen und die obbemeldete Jugend und die Vorübergehenden beharrlich anbellten, ohne jedoch die mindeste Furcht zu erregen, da ihre beschwerliche Leibesbeschaffenheit ihnen nicht gestattet hätte, ihre Drohungen auszuführen. Wer nun erwartet, an den Fenstern des Häuschens einen lockigen Mädchenkopf zu erblicken, wie das in ländlichen Novellen der Fall zu sein pflegt, der täuscht sich. Nein, so oft die Hausglocke gezogen wurde, und das geschah sehr oft, erschien am Fenster das allzeit freundliche, aber sehr runzelvolle Angesicht der Jungfer Mine, der unumschränkten Herrin und Besitzerin des Häuschens. Und doch wurde dieses gealterte Antlitz von jung und alt so gern gesehen wie nur je eine blühende Mädchenrose, und ihre Beliebtheit stieg noch von Jahr zu Jahr, was bei jungen Schönheiten gar selten der Fall ist.
»Kannst du noch?« »Wie? Ich?!« »Weil du eben ausglittest.«»Die Steine sind naß und glatt. Aber ich nicht mehr können! Sechs Stunden will ich so fortmarschieren.«»Wir sind bald am Rasthaus.«Die das einander zurufen, sind zwei, auf die Bergstöcke gestützt, rüstig ausschreitende Wanderer, ein Mann und eine Frau. Beide sind in Wetterloden gekleidet. Er trägt Kniehosen, wollene Strümpfe und schwere Nagelschuhe. Bei ihr ist der Rock hoch geschürzt, daß er die zierlichen Füße bis über die Knöchel frei läßt. Sie durchwandern, abwärtssteigend, eine Hochgebirgsschlucht von großartiger Wildheit. Bis zu schwindelnder Höhe türmen sich auf drei Seiten die Felsen mit ihren Schluchten und Rinnsalen. Die Sonne leuchtet noch auf der fernen Hochebene, tief, tief unten, im hellen Schein des Augustnachmittags; hier, zwischen den ragenden Wänden, ist sie längst fort. Um die zackigen Spitzen lagern Wolken, die dort hängen zu bleiben scheinen.Unten hat es geregnet, hier, in Höhe, ist es Schnee geworden.In tausend Rinnsalen fließt und tropft nun der geschmolzene Schnee über das zerklüftete Gestein. Es ist kein Gehen hier ¿ ein Hüpfen, Springen von Felsblock zu Felsblock! ¿
Josef Blümel, der Herr Kanzleioffizial, wäre Wiener gewesen, gleichviel ob er in Paris, London oder Berlin auf die Welt gekommen, ob er auf Haiti, Sumatra hätte leben müssen, auf dem Mars oder auf dem Grund des Meeres. Eilige Schritte waren Herrn Blümel verabscheuungswert. Schnell sprechen hätte er gar nicht fertiggebracht. Verdrießlichkeiten galten als persönliche Beleidigung. Das Kaffeehaus brauchte er, wie der Donaukarpfen die Donau. Ebensowenig hätte der Herr Kanzleioffizial Musik entbehren können, wenn sich nach Schluß der Bureaustunden graues Unbehagen heranzuschleichen sucht, selbst an achtbare Beamte, alleinstehend und zu keinerlei Verschwendung geneigt. Kein Tingeltangelgeklapper, sondern die heiteren, heimatlichen Erzeugnisse eigener Landsleute, wie Mozart, Schubert, Strauß. Man war vertraut mit ihnen in allen Eigenarten, genau so wie mit Trambahngeklingel, Autogeschrei, Hustengepolter, Weibergeschwätz. Nur daß sie einem erheblich angenehmer waren. Trotzdem war der Herr Kanzleioffizial aufregenden Neuigkeiten, Absonderlichkeiten und überhaupt jeder Art merkwürdiger Zwischenfälle des Lebens durchaus nicht abgeneigt. Er brachte ihnen Interesse entgegen, beinahe Gefallen. Nur mußten sie anderen geschehen sein. Gesprächsweise jedoch, auch durch Druckerschwärze in Buch oder Zeitung vermittelt, war er zu jedem Miterleben bereit.
Ich bin, sagte Almor, in Smirna geboren. Mein Vater, ein Franzose und reicher Kaufmann, der von der Christlichen zur Mahomedanischen Religion übergegangen war, behandelte mich, so selten ich auch vor ihm erschien, kalt und unfreundlich, und meine Mutter war vor meiner Erinnerung gestorben. Ich fühlte mich recht verlassen und oft tief erbittert durch meinen Vater. Kinder, wenn sie schon anfangen, das Leben mit den Augen ihres Geistes zu betrachten, werden von den Gewohnheiten, Verhältnissen und Forderungen der menschlichen Gesellschaft beängstigt, und nur die sanfte Hand guter Eltern kann sie ohne große Schmerzen in die ungewohnten Schranken des bürgerlichen und häuslichen Lebens einführen. Durch die Eltern spricht die Natur zuerst zu den Kindern. Wehe den armen Geschöpfen, wenn diese erste Sprache kalt und lieblos ist!
Der Graf von Hohenzollern. Der Prinz von Homburg, unser tapfrer Vetter, Der an der Reuter Spitze, seit drei Tagen Den flüchtgen Schweden munter nachgesetzt, Und sich erst heute wieder atemlos, Im Hauptquartier zu Fehrbellin gezeigt: Befehl ward ihm von dir, hier länger nicht, Als nur drei Füttrungsstunden zu verweilen, Und gleich dem Wrangel wiederum entgegen, Der sich am Rhyn versucht hat einzuschanzen, Bis an die Hackelberge vorzurücken? Der Kurfürst. So ists! Hohenzollern. Die Chefs nun sämtlicher Schwadronen, Zum Aufbruch aus der Stadt, dem Plan gemäß, Glock zehn zu Nacht, gemessen instruiert, Wirft er erschöpft, gleich einem Jagdhund lechzend, Sich auf das Stroh um für die Schlacht, die uns Bevor beim Strahl des Morgens steht, ein wenig Die Glieder, die erschöpften, auszuruhn.Der Kurfürst. So hört ich! ¿ Nun?Hohenzollern. Da nun die Stunde schlägt, Und aufgesessen schon die ganze Reuterei Den Acker vor dem Tor zerstampft, Fehlt ¿ wer? der Prinz von Homburg noch, ihr Führer. Mit Fackeln wird und Lichtern und Laternen Der Held gesucht ¿ und aufgefunden, wo? (Er nimmt einem Pagen die Fackel aus der Hand.) Als ein Nachtwandler, schau, auf jener Bank, Wohin, im Schlaf, wie du nie glauben wolltest, Der Mondschein ihn gelockt, beschäftiget, Sich träumend, seiner eignen Nachwelt gleich, Den prächtgen Kranz des Ruhmes einzuwinden.
Einst hing ein traurig Volk die Harfen an die Weiden, Und sang nur, wenn es sang, Gefangenschaft und Leiden. Wir, die ein gleicher Schmerz zwey Jahre lang gekränkt, Wir haben an die Wand die Harfen nur gehängt: Die Bäume konnten wir mit ihnen nicht beladen, Die senkten sich um uns, gespitzt zu Palissaden. Noch träumend fühlen wir das Wohl, das uns geschehn:O Prinz, den wir zuerst von unsern Rettern sehn, Der siegreich Friede bringt, und Hoffnung bessrer Zeiten, Verzeih' den falschen Ton lang' ungestimmten Saiten. Herrscht Ruh' und Freyheit bald, für die Dein Schwert geblitzt, Für die Dein Heldenstamm so theures Blut verspritzt, So wird der Dankbarkeit manch frohes Lied gelingen, Den Schutz Germaniens, die Guelfen, zu besingen.
Der Schnellzug, der von München aus die wander- und reiselustigen Leute ins schöne bayerische Hochgebirge führt, ist zur Sommerzeit immer ziemlich besetzt. Personen mit viel Handgepäck und breitem Körperumfang sind in ihm weder willkommen, noch finden sie selbst, was ihren Wünschen und ihrem Verlangen genügt. Da waren nun die drei Passagiere, die eben in den zu den einzelnen Wagenabteilen führenden Gang traten, ganz ideale Reisende. Der voranschreitende Herr trug nichts als einen Überzieher auf dem Arme; die ihm folgende, sehr hagere, langgewachsene Dame hielt als einziges Gepäck ein zierliches, rundes Deckelkörbchen in der Hand; und das dunkelhaarige, schlanke Backfischchen, das so leicht und gewandt die Wagenstufen nahm, schien auch nicht gerade niedergedrückt von der Last zweier Schirme und einer mäßigen Reisetasche. Trotzdem mußte die Gesellschaft die ganze Reihe des Wagens entlang wandern, ohne Platz zu finden. Alle Abteile waren schon so besetzt, daß drei Personen nicht mehr hinein konnten. Endlich, im letzten, saßen nur eine Dame und ein Herr.
¿Voriges Frühjahr,¿ fing Civitella seine Erzählung an, ¿hatte ich das Unglück, den spanischen Ambassadeur gegen mich aufzubringen, der in seinem siebenzigsten Jahr die Thorheit begangen hatte, eine achtzehnjährige Römerin für sich allein heurathen zu wollen. Seine Rache verfolgte mich, und meine Freunde riethen mir an, mich durch eine zeitige Flucht den Wirkungen derselben zu entziehen, bis mich entweder die Hand der Natur oder eine gütliche Beilegung von diesem gefährlichen Feind befreit haben würden. Weil es mir aber doch zu schwer fiel, Venedig ganz zu entsagen, so nahm ich meinen Aufenthalt in einem entlegenen Quartier von Murano, wo ich unter einem fremden Namen ein einsames Haus bewohnte, den Tag über mich verborgen hielt, und die Nacht meinen Freunden und dem Vergnügen lebte.¿
Die Kaiserin war dem schönen alten Herrn auf dem Waldweg zwischen Weißenbach und Ischl begegnet. Er ging in einem weißen Anzug, barhaupt, ganz langsam, den Kopf gesenkt. Als die Kaiserin mit ihrer Begleiterin vorüberkam, blickte er auf, zerrte den zusammengeknüllten Panamahut aus der Tasche und grüßte mit verehrungsvollem Schwung. Jetzt sah die Kaiserin sein bartloses, mageres Gesicht.»Er hat ja beinah ein Beethovengesicht,« sagte Majestät, »wie alt ist er denn?«»Einundfünfzig,« erwiderte die Gräfin Hoheneck, die alles weiß.»Merkwürdig, und sein Haar ist schon ganz weiß. Aber das steht ihm. Man denkt, der hat alle Leiden der Erde mitgemacht.«Am Tage darauf wurde Professor Laurenz Maier ins kaiserliche Schloß befohlen.Die Kaiserin stand beim Fenster, als er auf der Straße herankam: »Wie ruhig er geht, und wie klein er ist. Oder ist es seine Zartheit, die ihn so klein macht? Der schmale Körper schlottert in den weiten Kleidern.«Als die Kaiserin ihn sprechen hörte, versteckte sie das Gesicht hinter ihrem großen Fächer. Er sprach ganz leise, aber seine Stimme war getränkt in einem metallischen Ton. Ihre eigene Stimme kam ihr heiser und trocken und grau vor neben dieser Geigenstimme. Endlich faßte sie sich und fragte: »Was treiben Sie eigentlich, Herr Professor?«»Ich bin Lehrer am Schottengymnasium, ich lehre Griechisch, Französisch, Italienisch.«»Und wenn Sie so langsam durch den Wald gehen, wie unlängst, was denken Sie da?«»Majestät,« sagte der weißhaarige Mann mit einem fast unmerklichen Lächeln: »Ich denke so wenig . . . .«Da mußte auch die Kaiserin lächeln: »Das freut mich . . . Wenn es mir gut geht, vergesse ich auch zu denken.«
Eine Flügelthür an der Wand links führt zum Vorzimmer. Rechts ist die Thür zu den inneren Räumen des Hauses. An der Hinterwand eine offene Thür zum Zeichenzimmer. Im Vordergrund links ein Pult mit Büchern, Briefschaften und Schreibmaterialien. Oberhalb der Thür ein Ofen. In der Ecke rechts ein Sofa mit Tisch und ein paar Stühlen; auf dem Tische Wasserkaraffe und Glas. Ein kleinerer Tisch mit Schaukelstuhl und Lehnstuhl im Vordergrund rechts. Angezündete Arbeitslampen auf dem Tische im Zeichenzimmer, auf dem Tische in der Ecke und auf dem Pulte.
Vor Jahren jagte ich mit besonderer Vorliebe in der Nähe des Kirchdorfes Glinnoje, das etwa zwanzig Werst von meinem Gute entfernt liegt. Es ist wohl das beste Jagdgebiet im ganzen Landkreise. Nachdem ich alle Felder und Gebüsche nach Wild abgesucht hatte, ging ich noch regelmäßig gegen abend zum Moorgrunde ¿ es war der einzige Moorgrund in der ganzen Gegend ¿ und begab mich erst von dort zu meinem gastfreundlichen Wirte, dem Dorfschulzen von Glinnoje, bei dem ich in der Jagdzeit immer Quartier nahm. Vom Moor hatte ich bis zum Dorfe kaum zwei Werst zu gehen; der Weg führte durch eine Niederung, und nur auf der halben Strecke mußte ich über einen nicht sehr hohen Hügel steigen. Auf diesem Hügel liegt ein kleiner Landsitz, der aus einem unbewohnten Herrschaftshaus und einem Garten besteht. Ich kam fast immer während des Sonnenuntergangs vorbei, und das von den Strahlen der Abendsonne übergossene Haus mit den vernagelten Fensterläden erinnerte mich jedesmal an einen blinden Greis, der aus seinem Kämmerchen hervorgekrochen war, um sich in der Sonne zu wärmen. Der arme Greis sitzt so allein an der Straße; statt des Sonnenlichtes sieht er schon längst nur ewiges Dunkel; er fühlt aber noch die Sonne auf seinem Gesicht, das er zu ihr wendet, und auf seinen erwärmten Wangen. Das Haus sah so aus, als ob darin schon lange niemand gewohnt hätte; doch im winzigen Hofgebäude wohnte ein freigelassener Leibeigener, ein hochgewachsener Greis mit silberweißem Haar und ausdrucksvollem, doch immer unbeweglichem Gesicht. Er saß meistens auf der Bank vor dem einzigen Fenster seines Häuschens und blickte nachdenklich und bekümmert in die Ferne; so oft er mich sah, erhob er sich von der Bank und verbeugte sich vor mir mit jener langsamen Feierlichkeit, die nur den Leibeigenen der alten Zeit, die zur Generation unserer Großväter und nicht zu der unserer Väter gehören, eigen ist. Ich versuchte manchmal, ihn in ein Gespräch zu ziehen, er war aber ungewöhnlich wortkarg: das einzige, was ich von ihm erfahren konnte, war, daß das Gut, in dem er wohnte, der Enkelin seines früheren Herrn gehörte, einer Witwe, die noch eine jüngere Schwester hatte; daß die beiden irgendwo »hinter dem Meere« wohnten und das Gut niemals aufsuchten; daß er selbst nur den einen Wunsch hatte, baldmöglichst sein Leben zu beschließen: »Ich kaue und kaue meinen Bissen Brot, und manchmal ärgert es mich, daß ich so lange daran kauen muß.« Dieser Greis hieß Lukjanytsch.
FRAU MARTHE zu Eve.Hinweg! Was sagt ich dir? Willst du dich noch Beschimpfen lassen? Der Herr Korporal Ist was für dich, der würd'ge Holzgebein, Der seinen Stock im Militär geführt, Und nicht dort der Maulaffe, der dem Stock Jetzt seinen Rücken bieten wird. Heut ist Verlobung, Hochzeit, wäre Taufe heute, Es wär mir recht, und mein Begräbnis leid ich, Wenn ich dem Hochmut erst den Kamm zertreten, Der mir bis an die Krüge schwillet.EVE.Mutter! Laßt doch den Krug! Laßt mich doch in der Stadt versuchen, Ob ein geschickter Handwerksmann die Scherben Nicht wieder Euch zur Lust zusammenfügt. Und wär's um ihn geschehn, nehmt meine ganze Sparbüchse hin, und kauft Euch einen neuen. Wer wollte doch um einen irdnen Krug, Und stammt er von Herodes' Zeiten her, Solch einen Aufruhr, so viel Unheil stiften.FRAU MARTHE. Du sprichst, wie du's verstehst. Willst du etwa Die Fiedel tragen, Evchen, in der Kirche Am nächsten Sonntag reuig Buße tun? Dein guter Name lag in diesem Topfe, Und vor der Welt mit ihm ward er zerstoßen, Wenn auch vor Gott nicht, und vor mir und dir. Der Richter ist mein Handwerksmann, der Schergen, Der Block ist's, Peitschenhiebe, die es braucht, Und auf den Scheiterhaufen das Gesindel, Wenn's unsre Ehre weiß zu brennen gilt, Und diesen Krug hier wieder zu glasieren.
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