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Es war vor ein paar Jahren in Venedig. Ein Sonntag im Spätsommer. Die Messe in San Marco war zu Ende, und die Menge strömte aus dem Dome auf den Platz. Ein volksbewegtes, buntes Treiben. Amerikanische Matrosen ¿ von dem Kriegsschiff drüben auf der Reede ¿ mit weißen Kappen und wiegend-breitem Gange, zierliche Venezianerinnen gesenkten Blicks auf hohen Stöckeln trippelnd, behäbige Deutsche und schöne, hochbeinige Schwedinnen. Fascistische Centurien heranmarschierend im Gleichschritt mit Gesang. O bellezza, giovinezza. . .Ich saß mit Désirée im Café Florian, um all die Schönheit in Muße zu genießen.Ringsum das festliche Gewühl der Menschen, die zarte Gliederung der Säulengänge und das goldne Mosaik des Domes. Dahinter das Meer, dessen Fluten im Sonnenglanz wie Perlmutter und Smaragd erglühten. Und darüber der Himmel, auf dessen zart azurnem Grunde im leichten Spiel des Windes silbernes Gewölk dahintrieb.Es war ein Anblick, so selten und so köstlich, daß ihn unser Herz als unvergessenes Glück bewahrt. Man sieht und leidet, man liebt durch den ergriffenen Blick.Da plötzlich ging ein Wogen durch die Menge. In allen Sprachen rief es »Schau dorthin«, und aller Blicke richteten sich aufwärts.
In meiner Jugend habe ich häufig, wenn auch niemals regelmäßig oder auf lange Zeit, ein Tagebuch geführt. ¿ Mit den Jahren hatte sich jedoch auf diese Weise eine erhebliche Menge von Geschreibe angesammelt, das mir selbst, wenn ich darin las, ein getreues Bild meines Lebens bis etwa zu meinem zwanzigsten Jahre wiedergab ¿ aber nur mir. Ein fremder Leser, meine nächsten Anverwandten mit inbegriffen, würde sich aus meinen Erzählungen und Beschreibungen ein falsches Bild gemacht haben, weniger von dem, was ich tatsächlich erlebt hatte, als von dem, was ich dabei empfunden zu haben vorgab. ¿ Nach jenen Aufzeichnungen zu urteilen, hätte man mich nämlich für einen zur Schwermut geneigten jungen Mann halten müssen, während ich im Gegenteil, körperlich und geistig gesund, alle Freuden des Lebens, die ich erhaschen konnte, gedankenlos genoß und mich über die schweren Bekümmernisse der Jugend, die mir nicht erspart blieben, schnell und leicht hinwegzusetzen wußte. Ich wäre in meinem Tagebuche, wenn ich mich darin so geschildert hätte, wie ich war, als ein gutmütiger, etwas leichtsinniger junger Mann erschienen, der das Wohlwollen der Älteren verdiente und besaß; sicherlich nicht als ein schwermütiger, den Mondschein liebender Jüngling. ¿ Weshalb ich mich als einen solchen darzustellen versuchte, kann ich nicht erklären; keinenfalls geschah es, um mich anderen gegenüber »interessant« zu machen, denn ich verwahrte mein Tagebuch als etwas ganz Geheimes, und weder Freund noch Freundin war es je gestattet, auch nur von dem kleinsten Teile seines Inhaltes Kenntnis zu nehmen. ¿ Ich kann auch nicht sagen, daß ich mich selbst zu belügen versuchte, indem ich mir allerhand krankhafte Gefühle andichtete, denn ich wußte sehr wohl, daß ich dergleichen nie gehegt hatte ¿ aber dieses »Dichten« hatte für mich einen geradezu unwiderstehlichen Reiz, namentlich in den Jahren von sechszehn bis neunzehn. ¿ Dann verlor sich die Freude daran und mit ihr auch die Freude an meinem Tagebuche.
Uwolowu sprach zu den Untergöttern: So ein Mensch stirbt, möge er auferstehen. Das Huhn sagte: »So ein Mensch stirbt und aufersteht, will auch ich auferstehen.« Uwolowu weigerte sich dessen. Das Huhn sagte: »Wahrlich, Kokoliko, ich komme, es wird Tag. Ich komme und die Sonne ist aufgegangen. Wahrlich, Kokoliko.« Deshalb sterben die Menschen und auferstehen nicht mehr.Uwolowu und die Menschen waren. Die Menschen sandten den Hund zu Uwolowu, damit er ihnen sage, so die Menschen sterben, möchten sie auferstehen. Der Hund ging. Unterwegs hungerte ihn. Er kam in ein Haus, worin ein Mann zauberische Kräuter kochte. Der Hund setzte sich zu ihm und dachte, er koche Speise. Auch der Frosch ging zu Uwolowu, doch ungebeten, ihm zu sagen, so die Menschen stürben, möchten sie nicht mehr auferstehen. Der Frosch überholte den Hund, der dachte, so ich gegessen habe, hole ich den Frosch ein. Der Frosch traf ein und sprach zu Uwolowu: »Wenn die Menschen sterben, mögen sie nicht auferstehen.« Nun kam auch der Hund und sagte dem Uwolowu: »Wenn die Menschen sterben, wollen sie auferstehen.« Uwolowu sprach zum Hund: »Diese zwei Worte verstehe ich nicht. Da zuerst des Frosches Rede ich gehört habe, will ich tun, wie er gesagt, und ich will nicht tun, wie du gesprochen.« Wann der Frosch stirbt, und es donnert, so aufersteht er.
Ueber vierzehn Tage ist es her, seit die Batterie Latour bei Renaix im Hennegau ausgeladen war. Nein, es ist schon hundert Tage her, es könnten auch schon Jahre sein, seit sie ununterbrochen auf dem Marsch ist. Weite Felder, Baumreihen, die Augustsonne brennt, Bremsen schwirren um Menschen und Pferde und saugen Blut. Blut hatte auch der junge Husar im Gesicht, der im Chausseegraben lag. Es war der erste Tote, den die Artilleristen sahen. »Das ist ja eine feine Sorte Krieg«, sagte Hauptmann Kuntze, der Chef der zweiten Batterie, zu Talbot Latour, der die dritte führte, »eine elende Tippelei: der Staub und der Gestank in der Marschkolonne!« »Ja, das ist stiefelsaures Strumpfoxyd, zurzeit das Parfum des feinen Mannes.« Sie ritten eine Weile nebeneinander. »Was soll bloss diese Rennerei?« »Soviel ich weiss, soll der rechte Flügel vorrücken und westlich an Paris vorbei zur Umfassung ausholen. Die Schangels sollen gleich in den grossen Wurstkessel getan werden.« »Und die Engländer?« »Ja, das weiss ich nicht. Die haben schon manchesmal manchem das Konzept verdorben. Und sie werden es wieder tun.« »So? Glauben Sie?« »Wissen Sie, warum ich aus der grossen Bude in unser schönes Regiment versetzt wurde? Ich habe bisher nicht darüber gesprochen, weil es mir nicht passte. Vom Februar bis April war ich in England zum Studium der Sprache. Nun ist meine Mutter Irin, und ich spreche fliessend Englisch. Ich hörte allerlei, und als ich wiederkam machte ich pflichtgemäss einen Bericht: Bahnbauten nach den Verschiffungshäfen, Rampen, neue Befestigungen in Kosyth und Scapa Flow, Propaganda für die allgemeine Wehrpflicht und so weiter. Kurz: wir unterschätzen die Engländer geradezu sträflich. Ein simpler Hauptmann hat aber nun einmal nicht soviel zu verstehen wie die hohen Vorgesetzten. Mein Abteilungschef gab mir den Bericht mit unsanften Bemerkungen zurück. Ich reichte ihn unter Vermeidung des Dienstweges dem Chef direkt ein, und das hat mich die roten Hosen gekostet.« »Das ist ja unglaublich.« »Aber wahr.« »Dabei halten die Leute mich für anglophil; den Sohn einer Irin, die nichts so hasst wie England.«
Es sind gerade hundert Jahre her, Als Deutschland in der tiefsten Schande lag. Es sind gerade hundert Jahre her, Als Kleist sein Schauspiel schrieb: Die Herrmannsschlacht. Er schrieb es voller Haß und Wutgestöhn, Daß mancher Vers den rechten Takt verlor, So wild und außer sich schrieb er sein Drama. Und jeder, der die Handschrift las, fand drin Die Ähnlichkeit, die zwischen Rom von ehmals Und jenem unerhörten Zwingherrn war, Der unser Vaterland in Ketten warf: Napoleon. Der Dichter starb. Sein Stück Ward jahrelang nach seinem Tode erst Gedruckt. Und spärlich war die Aufführung Bis jetzt. Der große, unglückliche Dichter Hats niemals auf der Bühne wirken sehn. Nichts ist darin von Ebenmaß und Wohlklang; Nur das Genie spricht hart aus jedem Wort, Aus jedem Vers schreit sein empörtes Herz. Zum Andenken an Bismarcks Todestag, Der vor zehn Jahren alle Welt durchbebte, Soll heute hier die Herrmannsschlacht erscheinen. Kein besserer Name kann Kleists Rächer sein. Was er gewollt: das große Vaterland, Bismarck hats durchgesetzt mit seiner Kraft, Auf erznem Felsgrund steht das Deutsche Reich.
Die Familie hatte beschlossen, die ersten September-Tage, welche im südlichen Bayern, ungeachtet des sonst rauhen Klima's, gewöhnlich einen heitern, freundlichen Charakter annehmen, auf dem Lande und zwar im Gebirge zuzubringen. Man hatte die Gegend gewählt, welche in frühern Zeiten die Grafschaft W e r d e n f e l s geheißen, und die, wie wenige Landschaften, das Freundliche, Heimliche, Idyllische zugleich mit dem Grandiosen und Majestätischen der Natur vereiniget. In G a r m i s c h , einem Orte, der, mitten im Thale wohl gelegen, die freie Räumlichkeit eines Dorfes und zugleich die Bequemlichkeit eines Städtchens darbietet, hatte ihnen ein Freund eine Wohnung besorgt, welche die zahlreiche Familie wohl aufnehmen konnte, dergestalt, daß die Frauen ihr Hauswesen selbst auf leichte und wohlfeile Weise zu besorgen vermochten. Man vermißte nur das Angewohnte, Zierliche des heimischen Herdes, nicht aber das Bequeme, Naturgemäße.
Philippus Bonus, Hertzog in Niederland / gehet seiner Gewohnheit nach / des Abends auff der Gasse /und trifft einen vollen Bauer schlaffend an: Diesen läst er auffheben / zu Hofe in ein köstlich Bette legen / und den gantzen Tag hernach als einen Printzen tractiren. Bey dieser Gelegenheit hat der Bauer das Glücke / daß er einem singenden Spiele mit heywohnen kan. Doch wie er von den Hof-Purschen mit Trincken ziemlich zugedeckt ist / so werden ihm die Bauer-Kleider wieder angelegt / und er muß sein Lager wiederum auff der Gasse nehmen. Hiemit erfolget der Possen / daß der Bauer den nachkommenden Tag alles vor einen angenehmen Traum erzehlet.
Von einem leichten Ostpassat getrieben, dazu die Obersegel fest, ja sogar noch mit einem Reef im Kreuzsegel, der vor einigen Abenden hineingenommen, und den man sich gar nicht die Mühe gegeben hatte wieder auszustechen, kam ein schwerfälliges, schmutzig aussehendes Schiff langsam bei dem Winde nach Süden herunter und näherte sich einer, in der Ferne eben sichtbar werdenden kleinen hohen Insel der Cooksgruppe.Schon die großen fettigen Stellen in den Segeln, auf denen die Leute, nach dem Thranauskochen, beim Reefen allabendlich gelegen, verriethen den Wallfischfänger, hätten ihn nicht auch die, an besonderen Krahnen zu beiden Borden aufgehangenen und noch auf Querstützen über Deck besonders gehaltenen Boote als solchen dargethan. Andere Fahrzeuge besuchten auch selten diese Gewässer und selbst die Wallfischfänger nur in diesen Monaten Januar und Februar, ehe sie wieder mit einbrechendem Frühling nach Norden aufgingen, die einträglichere, wenigstens ergiebigere Jagd der »rechten Wallfische« der der Spermacetis vorzuziehen.Es war diesmal aber noch ziemlich früh in der Jahreszeit und der Delaware, wie der Wallfischfänger getauft worden, hatte im Anfang beabsichtigt gerade zu Tahiti anzulaufen; durch den starken Ostpassat aber und die klein geführten Segel, wie mit der starken Aequatorialströmung gegen sich zu viel nach Westen versetzt, mußte er erst wieder nach Süden hinunter, etwas mehr in die Region der veränderlichen Winde zu kommen, oder auch vielleicht einen der dann und wann einsetzenden Westwinde zu benutzen, und beschloß jetzt nur die erste in Sicht befindliche Insel anzulaufen, um einige Erfrischungen und vielleicht etwas Holz einzunehmen.
Der Turm, der aus dem Dorfe ragt, Erhebt der Glocken hell Getön; Und neulich hat mir Franz gesagt, Er sagte mir: ich wäre schön. Wie das nun kommt, gern wüßt ich's bald Bin doch erst sechzehn Jahre alt. Franz ist ein wilder Junge, traun! Denn gestern in der Dämmerung, Da sprang er übern Gartenzaun Und küßte hurtig meinen Mund. Und wie's geschah, ich weiß es nicht Franz hat ein allerliebst Gesicht. Franz hat mir diesen Ring geschenkt Und dieses Kreuz an rotem Band! Er hat's mir selber umgehängt, Und als ich sinnend vor ihm stand, Viel seltsam Fragen macht' er da, Und ich, ich glaub, ich sagte: Ja! Ich weiß nicht, was ich ihm gesagt! Genug, der Abend war so schön, Der Turm, der aus dem Dorfe ragt, Erhub der Glocken hell Getön; Und ich, ich ging nach Haus und dacht, Ich dacht an Franz die halbe Nacht.
Wir gemeinen deutschen Bürgersleute, die wir in unserer Jugend keine französischen Gouvernanten gehabt, ob zwar Gouverneurs genug, benutzen gern den Aufenthalt in Frankreich, uns in der französischen Sprache zu vervollkommnen. Wir erfahren aber bald, daß es damit schwer geht und sehr langsam; was Hänschen nicht lernt, holt Hans nicht nach. Bleibt ein deutscher Welt- oder Geschäftsmann ein Jahr oder auch längere Zeit in Paris, dann lernt er zwar mehrere Variationen über sein altes bon jour sprechen, doch das ist alles. Hat aber ein Deutscher das Unglück, von der gelehrten Klasse zu sein, und die Eitelkeit, sich als Mann von Verstand zeigen zu wollen, dann geht es ihm noch schlimmer. Diese Eitelkeit aber wird in Paris leicht rege gemacht. Die Franzosen haben vor einem deutschen Gelehrten einen ungeheuern Respekt, einen größern, als sie vor einer Encyklopädie in hundert Foliobänden haben, denn sie schätzen ihn zweihundert Bände stark. Kommt es aber zur Anwendung, zum Reden, Schreiben, zur künstlerischen Darstellung, zum Gespräche, dann lachen sie ihn aus, und wenn sie dem Gelehrten nicht sagen: Du bist ein Vieh! so unterlassen sie es bloß aus Artigkeit, aber sie denken es gewiß. Nun wird der deutsche Gelehrte hitzig, und er will zeigen, daß etwas in ihm steckt.
Politisches Gezänk in Ehren, Ein wenig Kunst auch will der Tag, So pfeif' ich auf der Syrinx Röhren, Und bringe was gefallen mag, Euch, die im Schweiß des Angesichtes Ihr euer Brod verdient und eßt, Euch, die im Schein des Lampenlichtes Ihr uns'res Wissens Tiefen meßt. In schweren Wolken zieht das Leben, Der Weise schaudert vor der Nacht, Doch eine Waff' ist ihm gegeben, Er widerspricht, indem er lacht; Denn auch dem Priester strengster Musen, Dem Mann vom nüchternsten Bedacht Sitzt der geheime Schalk im Busen Und trotzt der grauenvollen Macht.
Dieser Stern hat mit unserer Erde viel, sehr viel gemein. Sein Durchmesser ist 1700 Meilen und sein Aequator 5400 Meilen lang. Er dreht sich um sich selbst und zugleich auch um die Sonne. Die Bewegung um sich selbst dauert genau einen Tag, die Bewegung um die Sonne ebenso genau ein Jahr, keine Sekunde mehr oder weniger. Seine Oberfläche besteht zu einem Teile aus Land und zu zwei Teilen aus Wasser. Aber während man auf der Erde bekanntlich fünf Erd- oder Weltteile zählt, ist das Festland von Sitara in anderer, viel einfacherer Weise gegliedert. Es hängt zusammen. Es bildet nicht mehrere Kontinente, sondern nur einen einzigen, der in ein sehr tiefgelegenes, sümpfereiches Niederland und ein der Sonne kühn entgegenstrebendes Hochland zerfällt, welche beide durch einen schmäleren, steil aufwärtssteigenden Urwaldstreifen mit einander verbunden sind. Das Tiefland ist eben, ungesund, an giftigen Pflanzen und reißenden Tieren reich und allen von Meer zu Meer dahinbrausenden Stürmen preisgegeben. Man nennt es Ardistan. Ard heißt Erde, Scholle, niedriger Stoff, und bildlich bedeutet es das Wohlbehagen im geistlosen Schmutz und Staub, das rücksichtslose Trachten nach der Materie, den grausamen Vernichtungskampf gegen Alles, was nicht zum eigenen Selbst gehört oder nicht gewillt ist, ihm zu dienen. Ardistan ist also die Heimat der niedrigen, selbstsüchtigen Daseinsformen und, was sich auf seine höheren Bewohner bezieht, das Land der Gewalt- und Egoismusmenschen. Das Hochland hingegen ist gebirgig, gesund, ewig jung und schön im Kusse des Sonnenstrahles, reich an Gaben der Natur und Produkten des menschlichen Fleißes, ein Garten Eden, ein Paradies. Man nennt es Dschinnistan. Dschinni heißt Genius, wohltätiger Geist, segensreiches unirdisches Wesen, und bildlich bedeutet es den angeborenen Herzenstrieb nach Höherem, das Wohlgefallen am geistigen und seelischen Aufwärtssteigen, das fleißige Trachten nach Allem, was gut und was edel ist, und vor allen Dingen die Freude am Glücke des Nächsten, an der Wohlfahrt aller derer, welche der Liebe und der Hilfe bedürfen. Dschinnistan ist also das Territorium der wie die Berge aufwärtsstrebenden Humanität und Nächstenliebe, das einst verheißene Land der Edelmenschen.
In einer Gegend des Harzes wohnte ein Ritter, den man gewöhnlich nur den blonden Eckbert nannte. Er war ohngefähr vierzig Jahr alt, kaum von mittler Größe, und kurze hellblonde Haare lagen schlicht und dicht an seinem blassen eingefallenen Gesichte. Er lebte sehr ruhig für sich und war niemals in den Fehden seiner Nachbarn verwickelt, auch sah man ihn nur selten außerhalb den Ringmauern seines kleinen Schlosses. Sein Weib liebte die Einsamkeit ebensosehr, und beide schienen sich von Herzen zu lieben, nur klagten sie gewöhnlich darüber, daß der Himmel ihre Ehe mit keinen Kindern segnen wolle. Nur selten wurde Eckbert von Gästen besucht, und wenn es auch geschah, so wurde ihretwegen fast nichts in dem gewöhnlichen Gange des Lebens geändert, die Mäßigkeit wohnte dort, und die Sparsamkeit selbst schien alles anzuordnen. Eckbert war alsdann heiter und aufgeräumt, nur wenn er allein war, bemerkte man an ihm eine gewisse Verschlossenheit, eine stille zurückhaltende Melancholie. Niemand kam so häufig auf die Burg als Philipp Walther, ein Mann, dem sich Eckbert angeschlossen hatte, weil er an diesem ohngefähr dieselbe Art zu denken fand, der auch er am meisten zugetan war. Dieser wohnte eigentlich in Franken, hielt sich aber oft über ein halbes Jahr in der Nähe von Eckberts Burg auf, sammelte Kräuter und Steine, und beschäftigte sich damit, sie in Ordnung zu bringen, er lebte von einem kleinen Vermögen und war von niemand abhängig. Eckbert begleitete ihn oft auf seinen einsamen Spaziergängen, und mit jedem Jahre entspann sich zwischen ihnen eine innigere Freundschaft.
Gotische Halle. Im Hintergrunde zwei Türen. An beiden Seitenwänden, links und rechts, ebenfalls eine Türe. An einer Kulisse des Vorgrundes hängt ein verrosteter Dolch in seiner Scheide. Später Winterabend. Licht auf dem Tische. Graf Borotin. Berta. Der Graf (am Tische sitzend und auf einen Brief hinstarrend, den er in beiden Händen hält). Nun Wohlan, was muß geschehe! Fallen seh ich Zweig' auf Zweige, Kaum noch hält der morsche Stamm. Noch ein Schlag, so fällt auch dieser Und im Staube liegt die Eiche, Die die reichen Segensäste Weit gebreitet rings umher. Die Jahrhunderte gesehen Werden, wachsen und vergehen, Wird vergehen so wie sie; Keine Spur wird übrigbleiben; Was die Väter auch getan, Wie gerungen, wie gestrebt, Kaum daß fünfzig Jahr' verfließen Wird kein Enkel mehr es wissen Daß ein Borotin gelebt! Berta (am Fenster). Eine grause Nacht, mein Vater! Kalt und dunkel wie das Grab. Losgerißne Winde wimmern Durch die Luft, gleich Nachtgespenstern; Schnee soweit das Auge trägt, Auf den Hügeln, auf den Bergen, Auf den Bäumen, auf den Feldern, Wie ein Toter liegt die Erde In des Winters Leichentuch; Und der Himmel, sternelos, Starrt aus leeren Augenhöhlen In das ungeheure Grab Schwarz herab! Graf. Wie sich doch die Stunden dehnen! Was ist wohl die Glocke, Berta?
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