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Die praxissoziologische Theorieanlage, die in diesem Buch aus dem Ereignisbegriff entwickelt wird, zwingt zu der Frage, wie sich die Praktiken nicht nur zu Praxisformen verketten, sondern wie diese Praktiken auch Praxisformationen entstehen lassen, die sich dauerhaft als Intensitätszonen der Gesellschaft ereignen. Genau dieses Problem steht im Mittelpunkt der hier verfolgten Überlegungen und wird über eine Analyse der Pop-Musik als Formation der Praxis entfaltet. Als beispielhafte Fallstudie wählt der Autor das Love and Peace Festival auf Fehmarn aus dem Jahr 1970. Dadurch lässt das Buch eine Zeit der Pop-Musik wieder lebendig werden, die sehr viel mehr mit unserer Gegenwart zu tun hat, als es auf dem ersten Blick scheint.
Das Buch führt präzise und gut lesbar in die Besonderheiten des soziologischen Denkens ein. Es beginnt mit den Merkmalen des Standpunktes, von dem aus die Soziologie beobachtet, und markiert damit die Unterschiede zwischen Alltagserfahrung und soziologischer Betrachtung. Im nächsten Schritt wird verdeutlicht, wie diese Beobachtungen in den Modus der Erforschung von Sozialität und Gesellschaft überführt und so theoretisch gefasst werden. Der Begriff "Theorie" wird damit ausgehend von seiner eigentlichen und sinnlichen Bedeutung "theorein" - sehen - aus gedacht und entfaltet.
Laut einem Aphorismus von Gabriel Laub ist "Bücherschreiben . . . das einzige Ver brechen, bei dem der Täter sich bemüht, Spuren zu hinterlassen". Dies gilt zumin dest flir den älteren unter den beiden Autoren nicht, er hat genügend Fährten gelegt. In den letzten funfundzwanzig Jahren hat er versucht, die Publikationen zur Sozi alarbeit/Sozialpädagogik kritisch mitzulesen. In drei Semestern der neunziger Jahre haben beide Autoren in gemeinsamen Seminaren an der Westfälischen Wilhelms Universität Münster einschlägige Themen dazu mit Studenten bearbeitet. Nicht nur zu beobachten, wie andere vor uns den anstehenden Topos beobachtet haben, son dern auch, wie selektiv er fokussiert wird, war flir uns aufschlußreich. Als eines un serer Ergebnisse stellten wir in allen behandelten Publikationen das Fehlen eines stringenten gesellschaftstheoretischen Bezuges fest, der selbstverständlich nicht als "Evangelium" verstanden werden sollte. In unserem Versuch greifen wir auf das Instrumentarium der funktional-strukturellen Systemtheorie Niklas Luhmanns zu rück. Wie in allen wissenschaftlichen Diskursen so bleibt auch hier alles im Vor vorletzten. Wie könnte man auch das, was sich als ein möglicher Diskussionsbeitrag versteht, anders einordnen? Kennern der Materie wird bald auffallen, daß einige gute Veröffentlichungen zum behandelten Problem in unserem Literaturverzeichnis fehlen. Der Grund ist einfach: Wir wollten etwas überblicken und mußten deshalb manches übersehen. Kundige Leser bitten wir an diesem Punkt um Nachsicht. Soll der Duktus nicht verloren gehen, darf man in einem ersten Zugriff auf die Problematik keine Fußno tenorgien zelebrieren. Deshalb haben wir uns auf das Nötigste beschränkt.
1 Einleitung 1 Soziologische Beschaftigungen mit dem Thema Tausch sind in der gegenwartigen Theor- diskussion des Fachs selten geworden. So gehort etwa die breit angelegte Tauschtheorie von Peter M. Blau (vgl. 1992 [1964]) aus den 1960er Jahren inzwischen zur weniger bekannten 1 Geschichte der Soziologie. Dabei ist der Tausch in der Gegenwartsgesellschaft allgegenw- tig. Nicht nur, dass wir alle fast taglich Geld gegen Gebrauchsgegenstande und Lebensm- tel tauschen und unsere Arbeitskraft auf dem Arbeitmarkt anbieten und verkaufen, belegt diese Feststellung. Wir sind alle auch regelmaig an geldlosen Tauschprozessen beteiligt, wenn wir etwa mit Kollegen am Arbeitsplatz Informationen austauschen oder sehr genau darauf achten, demjenigen oder derjenigen, der oder die uns ein Geburtstagsgeschenk - macht hat, selbst zu seinem oder ihrem Geburtstag ein Geschenk zu machen. Der Tausch ist dabei nicht nur in seinem praktischen Vollzug, der sich nicht selten in hochst komplexer Form ereignet, fur die soziologische Theoriebildung und Forschung interessant, denn er bleibt haufig nicht folgenlos fur die Form der Reproduktion von Sozialitat, weil durch Tauschprozesse soziale Beziehungen zwischen sozialen Akteuren entstehen und auf Dauer gestellt werden konnen, die neue Formen der Sozialitat hervorbringen. Dies veranschaulicht eine Beobachtung, die Claude Levi-Strauss (vgl. 1981: 115f. ) um das Jahr 1950 herum in einem sudfranzosischen Restaurant gemacht hat. Demnach sitzen sich hier regelmaig einander fremde Gaste gegenuber und nehmen ihre Mahlzeiten ein, die sie vorher bei der Bedienung des Lokals bestellt haben und gewillt sind zu bezahlen, also durch Kauf zu erwerben.
Der physische Vollzug der Praxis besitzt, wie wir alle aus bestimmten Situationen etwa im Fußballstadion oder auf Rockkonzerten wissen, eine eigene Qualität, die sich mit den Mitteln bisheriger Sozialtheorien nicht angemessen erfassen lässt. Soziologische Praxistheorien rücken die Frage in den Mittelpunkt, wie diese Qualität begriffen werden kann. Dazu werden spezifische Begriffe und Konzepte benötigt, welche die Einführung systematisch vorstellt. Die gegenwärtig vielschichtig diskutierte Praxistheorie wird dabei erstmals grundlegend systematisiert und im Anschluss an Theoretiker wie Bourdieu und Latour als poststrukturalistischer Materialismus konzeptualisiert.
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