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Drall träumt von Ella, Ella träumt von Drall, und keiner der beiden traut dem anderen. Dass nichts so ist, wie es scheint, gilt als Credo in Mark Kanaks Prosabuch Lu¿gendetektor, das in zwei Spalten formatiert, links die Perspektive des Mannes auf Deutsch, rechts auf Englisch, hier allerdings immer wieder durch Ella zurechtgeru¿ckt, zeigt. Freilich erweist sich auch dieser Eindruck als fraglich: beide Textspuren ko¿nnten genauso gut im Kopf eines/r Einzigen ablaufen. In satirischer U¿berzeichnung fu¿hren Dralls Auslassungen und Ausschweifungen einen durch und durch sexualisierten Mu¿nchhausen vor, und ebenso konsequent lässt Mark Kanak diverse Diktate zu gegenderter Sprachverwendung ad absurdum laufen. Der Diskurs um Monogamie und Untreue dient dem Autor als Rahmen zur Ausbreitung einer kultur- und technikgeschichtlichen Text- und Bild-Collage zu Polygraphen und Wahrheitsdrogen sowie deren forensische, nachrichtendienstliche oder private Anwendungen. Lu¿gendetektor gibt ein heiter-bestu¿rzendes Panorama wahrer und fiktiver Fakten zur Mentiologie (Lu¿genkunde) und reitet einen furiosen Angriff auf die Verlogenheit eines Systems, das die Lizenz zum Flunkern und Bemänteln von oben nach unten stets unterschiedlich verteilt.
Jörg Piringer versteht die Produktion von Computerliteratur als künstlerische Forschung und explorative Programmierung, die den subjektiven Aspekt und den persönlichen Erkenntnisgewinn betonen. Beispiele seines umfangreichen digitalliterarischen Werks legt der Autor, soweit dieses gedruckt dargestellt werden kann, nun erstmals in Buchform gesammelt vor. Piringers Arbeiten, die in der Regel das Schreiben oder Umformen eines Computer-Programms und das Befüllen von diesem mit geeignetem Textmaterial umfasst, sind von konzeptioneller Raffinesse und einem "coolen" Humor geprägt. Ihre Herstellungsart ist der ludischen Poesie verpflichtet: eine in 82 Sprachen maschinenübersetzte Transformation des Gedichts "Das Abendlied" von Matthias Claudius oder ein Generator für Märchentexte, deren Narrationsfortschritt nach Wahrscheinlichkeiten aufeinander folgender Wörter gesteuert wird, setzen auf den Zufall als produktionsästhetisches Kalkül. Ein solcher Ansatz stellt zum einen den Schematismus genregerechten Schreibens bloß und dient andererseits als Motor für verblüffende Wort- und Satzkombinationen, die auf dem Weg "intuitiven Dichtens" kaum herstellbar wären. Die maschinengenerierte verbale Beschreibung real ablaufender Handlungen und künstliche neuronale Netzwerke, denen Zitatmaterial "antrainiert" wird, verweisen auf KI-Anwendungen, die in naher Zukunft unsere technische und soziale Wirklichkeit prägen werden. Es sind gerade die individuellen und gesellschaftlichen Implikationen von sprachzentrierten Computertools, die der Autor in seinen kreativen Versuchsanordnungen in Augenschein nimmt. Jörg Piringers "datenpoesie" unterstreicht die Dringlichkeit einer kritisch-kreativen Auseinandersetzung mit Oberflächen und Quellcodes heutiger und kommender Umgebungen.
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